Wie aus Klüngel Korruption wird: CityNEWS im Gespräch mit Frank Überall

Wie viel Klüngel steckt noch in Köln? Um Antworten zu finden, traf CityNEWS-Chefredakteurin Astrid Waligura den Politikwissenschaftler und Autor Frank Überall zum Interview. copyright: Daniel Berbig / CityNEWS
Wie viel Klüngel steckt noch in Köln? Um Antworten zu finden, traf CityNEWS-Chefredakteurin Astrid Waligura den Politikwissenschaftler und Autor Frank Überall zum Interview.
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Wie viel Klüngel steckt noch in Köln? Um Antworten zu finden, traf CityNEWS Politikwissenschaftler und Autor Frank Überall zum Interview. Der 41-Jährige wurde durch sein Buch über den Klüngel in der politischen Kultur Kölns (2007) stadtbekannt, nicht nur im Rathaus. Vier Jahre später brachte er mit “Abgeschmiert” ein Werk auf den Markt, das bis heute weit über die Grenzen der Domstadt hinaus für reichlich Gesprächsstoff sorgt.

CityNEWS: Was versteht man eigentlich unter Kölner Klüngel?

Frank Überall: Ich will es an einem Beispiel erklären: Ein Journalist kommt abends in seiner Veedelskneipe ins Gespräch mit dem Wirt. Er will seinen alten Kühlschrank loswerden. Zufällig hört ein Handwerker am Nebentisch die Konversation, mischt sich ein und bietet an, den Kühlschrank am nächsten Morgen abzuholen. Das ist echter Kölner Klüngel. Man denkt in Bedürfnissen des anderen.

CityNEWS: Wann wird daraus Korruption? 

Frank Überall: Wenn sich aus dieser situativen Kooperation eine Freundschaft entwickelt, kann es Probleme geben.

CityNEWS: Inwiefern?

Frank Überall: Wenn die beiden beispielsweise beruflich zusammenkommen. Der Handwerker könnte den Journalisten dazu bewegen, im Fernsehen über ihn zu berichten, damit er Aufträge bekommt. Solche Absprachen finden in der Regel im Geheimen statt. Das allein ist suspekt.

Klüngel gibt es überall!

CityNEWS: Gibt es eine allgemeingültige Formel?

Frank Überall: Unser Alt-Oberbürgermeister Norbert Burger hat es einmal passend formuliert: Ich muss mit Klüngel in der Öffentlichkeit bestehen können. Dem würde ich mich anschließen.

CityNEWS: Gibt es den Klüngel nur in Köln?

Frank Überall: Das ist Quatsch. In allen deutschen Städten gibt es Klüngel und Korruption in Firmen und Behörden.

CityNEWS: Sie haben den Klüngel wissenschaftlich untersucht. Was hat sich in der Rechtsprechung getan?

Frank Überall: In den letzten 20 Jahren hat sich im Bereich der Justiz vieles fundamental geändert. Wenn ich mir das heute vorstelle: Damals waren Schmiergelder noch von der Steuer absetzbar. Und auch die Kölner Kehrmännchen von den Abfall-Wirtschaftsbetrieben wurden längst um ihr “Neujährchen” zum Jahreswechsel gebracht.

CityNEWS: Haben Sie einen Überblick darüber, wie viele Korruptionsfälle in Wirtschaft und Behörden gemeinhin bekannt werden?

Frank Überall: Die Aufklärungsquote liegt bei fünf bis zehn Prozent, das belegen Studien.

CityNEWS: Warum so wenig?

Frank Überall: Weil Korruption ein Delikt der klugen Köpfe ist. Wer so was macht, ist ein Profi im Verschleiern. Daher ist die Verjährungsfrist von fünf Jahren meiner Meinung nach völlig unangemessen.

Frank Überall: In Köln wird gern geklüngelt…

CityNEWS: Müllskandal, Parteispendenaffäre – inwieweit hat Köln unter den Korruptionsskandalen der Vergangenheit gelitten?

Frank Überall: Das hat dem Ruf unserer Stadt enorm geschadet, auch überregional. Denken Sie einfach mal wirtschaftlich: Welche Firma will sich in einem Klein-Manhattan ansiedeln? Seit damals steckt es in den Köpfen fest: In Köln wird gern geklüngelt.

CityNEWS: Der Antikorruptionsbeauftragte der Stadt Köln sagt: Wir sind gut aufgestellt. Wie sehen Sie das?

Frank Überall: Ich habe das Gefühl, man wird wieder nachlässiger im Rechnungsprüfungsamt. Meine Recherchen zeigen, dass die Berichte insgesamt weniger werden. Ich habe das Gefühl, hier wird an der falschen Stelle gespart.

CityNEWS: Aber es werden regelmäßig Schulungen für städtische Abteilungen angeboten?

Frank Überall: Diese Schulungen sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Man muss das Thema in die Ausbildungen einbauen. Was hilft ein schriftlicher Maßnahmenkatalog, den man einmal liest und dann in die Schublade legt?

CityNEWS: Was schlagen Sie vor?

Frank Überall: Bessere Aufklärung bei der Stadt und in den Firmen. Eigentlich müsste jeder Amtsleiter ein eigenes Konzept für seinen Bereich entwickeln. Es sollte nicht einen Antikorruptionsbeauftragten geben, sondern fachbereichsbezogen einen Ansprechpartner. Das Thema müsste querschnittmäßig gelebt werden – auch in der Kantine.

CityNEWS: Was meinen Sie denn damit?

Frank Überall: Wenn man in der Kantine offen über den neuen Porsche des Kollegen redet, dann kommen erst gar keine bösen Gerüchte auf. Dafür müssten sich Menschen aber wieder mehr füreinander interessieren. Das sehe ich in unserer Gesellschaft immer weniger.

CityNEWS: Wie verhält man sich denn am besten?

Frank Überall: Das ist ein schwieriges Feld. Als Grundregel gilt: Wenn man etwas nicht mehr offen erzählt, sollten sich die eigenen Antennen aufstellen. Das ist kein Klüngel mehr.

Die Gefahr vom Klüngel in die Korruption zu rutschen

CityNEWS: Gehen Sie mit gutem Beispiel voran?

Frank Überall: Als Professor an der Kölner Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft bin ich Amtsträger. Jede Extremverbrüderung mit meinen Studenten lasse ich sein.

CityNEWS: Kein Fläschchen Wein zu Weihnachten?

Frank Überall: Auch keinen selbst gebastelten Weihnachtsstern (lacht).

CityNEWS: Und privat?

Frank Überall: Ich bin in Köln geboren und behalte mir privat wenigstens ein bisschen positiven Klüngel vor. Gerade bin ich umgezogen. Da hat mir mein privates Netzwerk geholfen. Warum nicht?

CityNEWS: Ein bisschen Klüngel und Korruption stecken also in jedem drin?

Frank Überall: Das Leben ist paradox. Also gibt es auch immer eine latente Gefahr, vom Klüngel in die Korruption zu rutschen.

CityNEWS: Und nun?

Frank Überall: Hinsehen und aufklären. Ich für meinen Teil lasse nicht locker. Ich mache Korruption zum Thema, wo immer ich auftrete. Die Palette reicht von wissenschaftlichen Fachvorträgen über Journalismus bis hin zum Kabarett.

CityNEWS: Kabarett?

Frank Überall: Seit zwei Jahren mache ich mit Kabarettistin Marina Barth im Klüngelpütz-Theater Programm, alle zwei Monate zu einem neuen Thema. Wir laden regelmäßig Kölner Politiker mit auf die Bühne ein. Die nächste Vorstellung ist am 12. April.

CityNEWS: Kabarettist, Professor, Buchautor – “Überall” ist überall?

Frank Überall: Ich genieße es, quer durch die Mediengattungen zu jetten. Momentan arbeite ich an einem 20-minütigen Talkformat durch die Kölner City. Die KVB hat dafür eine eigene Straßenbahn zur Verfügung gestellt. Bei jeder Fahrt steigt ein prominenter Kölner ein. Erster Talkgast war Richard Rogler.