Schulnotstand in Köln: Drei Stunden Schulweg “zumutbar” (UPDATE)

Schulnotstand in Köln: Drei Stunden Schulweg "zumutbar" - copyright: pixabay.com
Schulnotstand in Köln: Drei Stunden Schulweg “zumutbar”
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(Dieser Artikel wurde am 05.05.2017 – 19:40 Uhr aktualisiert) – In Köln ist der “Schulnotstand” ausgebrochen. Über 150 Kindern wurde die Erst- und Zweitwahl der weiterführenden Schulen verwehrt. Teilweise müssen sie bald drei Stunden täglich zur Schule fahren.

Das Schuljahr 2016/2017 geht aktuell in den Schlussspurt. Die letzten Klassenarbeiten, Klausuren und Abiturprüfungen stehen an. Zum nächsten Schuljahr wird sich wieder für Tausende Schulkinder in Köln vieles verändern. So geht es z. B. für die Viertklässler nach den Sommerferien auf die weiterführende Schule. Über 3.650 Kinder kommen zum neuen Schuljahr auf eine weiterführende Schule. Doch für 159 Kinder aus Köln könnte diese Veränderung problematisch werden. Denn bei ihnen wurden die Erst- und Zweitwünsche für die weiterführende Schule nicht berücksichtigt. Das hat für manche Kinder zur Folge, dass sie künftig bis zu eineinhalb Stunden zur Schule fahren sollen.

Für ihre Eltern ist dies aber absolut inakzeptabel. Sie sind sehr verärgert. Ein wütender Vater erzählt: “Ich bin erst kürzlich wegen eines guten Jobangebots mit meiner Familie nach Köln gezogen. Hätte ich gewusst, dass nun mein Sohn bald jeden Tag drei Stunden quer durch die Stadt zur Schule hin- und wieder zurückfahren muss, hätte ich das Angebot sicher nicht angenommen.”

Demonstranten zeigen “Trümmerhaufen” Schule

Etwa 50 Demonstranten (Eltern und Kinder) zeigten auf Transparenten, was sie von der aktuellen Schulpolitik der Stadt Köln halten. - copyright: CityNEWS / Christian Esser
Etwa 50 Demonstranten (Eltern und Kinder) zeigten auf Transparenten, was sie von der aktuellen Schulpolitik in Stadt Köln halten.
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Die Verärgerung der Eltern war am vergangenen Dienstag direkt vor dem Kölner Rathaus deutlich zu spüren. Etwa 50 Demonstranten (Eltern und Kinder) zeigten auf Transparenten, was sie von der aktuellen Schulpolitik in der Stadt halten. Neben den Schwierigkeiten bei der Schulplatzvergabe, insbesondere im Kölner Westen und Norden, bemängelten die Demonstranten auch die teils marode Ausstattung der Schule. Kaputte Toiletten, beschädigte Sportgeräte und schlechte Ausstattung in den Unterrichtsräumen wurden bemängelt. Dies wurde teilweise sogar mit Plakaten symbolisiert, wie Köln nach dem Zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche liegt. Auch die Größe der Schulklassen wird kritisch gesehen.

“In Klassen mit bis zu 30 Schülern ist eine individuelle Förderung doch überhaupt nicht mehr möglich”, mahnt eine besorgte Mutter. Zwar bekommt Köln knapp 100 Millionen über die nächsten vier Jahre aus dem kreditfinanzierten Förderprogramm Gute Schule 2020 von der Landesregierung. Wirklich angekommen scheint das Geld für die Sanierung zahlreicher Kölner Schulen allerdings noch nicht.

159 Schulkinder sollen Einzelfallprüfung erhalten

159 Schulkinder sollen Einzelfallprüfung erhalten - copyright: pixabay.com
159 Schulkinder sollen Einzelfallprüfung erhalten
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Im Anschluss an die Demonstration vor dem Kölner Rathaus kam es im Ratssaal zu einer Schulausschuss-Sitzung. Nach langer, intensiver Diskussion waren sich die Fraktionen aus CDU, SPD, FDP und Grünen einig. Alle 159 Schüler, deren Erst- und Zweitwunsch nicht berücksichtigt wurde, sollen einer Einzelfallprüfung unterzogen werden. Man wolle versuchen, an einigen Schulen weitere Zusatzklassen einzurichten. Dazu führe man bereits Gespräche mit den Direktoren. Ob an den Schulen aber überhaupt noch weitere Kapazitäten und das entsprechende Personal vorhanden sind, ist allerdings fraglich. Insgesamt sind über 60 Widersprüche bei der Stadt eingegangen, in denen Eltern sich über die Schulplatzvergabe beschweren und einen anderen Platz für ihr Kind fordern. Bis Ende April waren die vorgeschlagenen “Dritt”-Plätze für die Kinder reserviert – ob sich für sie bis zum Sommer noch eine Verbesserung für die betroffenen Schülerinnen und Schüler einstellt, ist fraglich.

Drei Stunden Schulweg gesetzlich “zumutbar”

Drei Stunden Schulweg gesetzlich "zumutbar" - copyright: CityNEWS / Alex Weis
Drei Stunden Schulweg gesetzlich “zumutbar”
copyright: CityNEWS / Alex Weis

Manche Eltern haben das Problem der Schulplatzvergabe mittlerweile selbst in die Hand genommen und Lösungen gefunden. Teilweise haben sie ihre Kinder an Schulen im Kölner Umland angemeldet, bspw. in Pulheim. Für manche wird so der Anfahrtsweg zur Schule kürzer. Doch haben noch viele andere Kinder das Problem, täglich fast drei Stunden zur Schule hin- und zurückfahren zu müssen. Für die erbosten Eltern kommt hier noch eine weitere schlechte Nachricht hinzu. Denn die landesweit geltende Schülerfahrtkostenverordnung besagt, dass eine Anfahrt von bis zu eineinhalb Stunden für die Kinder “zumutbar” ist. Das bedeutet für einen normalen Schultag eine reine An- und Abreisezeit von bis zu drei Stunden. Die Ratssitzung kam zu dem Ergebnis, dass pädagogisch und menschlich drei Stunden Fahrt täglich “unzumutbar” seien.

Gymnasium “Zusestraße” Lösung für dieses Schuljahr?

Neben der Problematik um insbesondere Kölner Gymnasium und dort mangelnde Schulplätze gibt es darüber hinaus auch einen großen Notstand bei den Gesamtschulen der Stadt. - copyright: pixabay.com
Neben der Problematik um insbesondere Kölner Gymnasium und dort mangelnde Schulplätze gibt es darüber hinaus auch einen großen Notstand bei den Gesamtschulen der Stadt.
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Eine Option, um das Problem für einen großen Teil der 159 betroffenen Kinder zu lösen, könnte das neue Gymnasium an der Zusestraße sein. Horst Thelen, schulpolitischer Sprecher der Grünen-Ratsfraktion: “Nachdem die Kompetenz zur Mehrklassenbildung bei den Schulleitungen liegt, Versuche der Verwaltung, Schulen entsprechend zu bewegen, bisher nicht zum Erfolg geführt haben, ruht unsere größte Hoffnung auf einem Vorziehen des Interims für die Zusestraße, wofür die Bezirksregierung eine wohlwollende Prüfung signalisiert hat. Sofern das Interim tatsächlich noch in diesem Jahr starten kann, ist eine unerträgliche Situation für die Schülerinnen und Schüler und deren Eltern deutlich entschärft”, hofft Thelen. Dass andere Kölner Schulen noch recht kurzfristig neue oder größere Klassen einrichten, ist indes unwahrscheinlich. So hat bspw. das Apostelgymnasium bereits zwei zusätzliche Klassen gebildet und musste dennoch einige Schüler ablehnen.

Wird der “Schulnotstand” noch größer?

Es wird viele neue Schulen, mehr Klassen, weitaus mehr Lehrerinnen und Lehrer in Zukunft geben müssen. - copyright: pixabay.com
Es wird viele neue Schulen, mehr Klassen, weitaus mehr Lehrerinnen und Lehrer in Zukunft geben müssen.
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Neben der Problematik um insbesondere Kölner Gymnasium und dort mangelnde Schulplätze gibt es darüber hinaus auch einen großen Notstand bei den Gesamtschulen der Stadt. Diese mussten in diesem Jahr mehr als 700 Kinder ablehnen. Es besteht erheblicher Handlungsbedarf. Anhand der städtischen Bevölkerungsprognose vom Mai 2015 wird bis 2040 ein rasanter Anstieg der Kinder- und Schülerzahlen in Köln erwartet. Bei den Kids zwischen zehn und 16 Jahren, die die Sekundarstufe I besuchen, wird ein Anstieg von bis zu 18 Prozent erwartet. Es wird viele neue Schulen, mehr Klassen, weitaus mehr Lehrerinnen und Lehrer in Zukunft geben müssen. Wenn es jetzt schon, wie die CDU-Fraktion im Stadtrat bemerkte, einen “Schulnotstand” in Köln gibt, darf man sich kaum ausmalen, was erst die Zukunft für Stadt, Schulen und insbesondere die betroffenen Schüler bringen wird.

UPDATE 05.05.2017 – 19:40 Uhr: Es wird nach Lösungen für den “Schulnotstand” gesucht

Die Bezirksregierung Köln und die Schulverwaltung Köln haben in mehreren Expertengesprächen gemeinsam nach Lösungen für die 159 Schüler gesucht, denen bei der Vergabe von Schulplätzen weder ihr Erst- noch  der Zweitwunsch erfüllt werden konnte. Geprüft wurden zwei Varianten zur Schaffung zusätzlicher Schulplätze in einem Gebäudetrakt der Friedensschule in Widdersdorf.

  • Variante A ist die vorgezogene Neugründung des (für 2018/19) geplanten Gymnasiums Zusestraße am Interimsstandort in Widdersdorf. Bei der vorzeitigen Neugründung des geplanten Gymnasiums wäre ein erneutes Anmeldeverfahren zwingend. Zur Neugründung der Schule sind rechtlich mindestens 84 Schüler nötig.
  • Die Variante B sieht die Mehrklassenbildung am Weidener Georg-Büchner-Gymnasiums am künftigen Zweitstandort an der Friedensschule in Widdersdorf vor. Bei dieser Variante gilt es zu berücksichtigen, dass die Kinder lediglich für die Dauer eines Schuljahres Schüler des Georg-Büchner-Gymnasiums wären, denn im darauffolgenden Schuljahr wird in Widdersdorf das Gymnasium Zusestraße gestartet.

Beide Varianten bergen Schwierigkeiten, da die Fristen für solche Maßnahmen bereits abgelaufen sind. Nach Abwägung dieser Argumente favorisieren Bezirksregierung und die Stadt Köln dieweiteren Mehrklassen des Georg-Büchner-Gymnasiums am Standort Friedensschule in Widdersdorf. Damit kann den Schülern, die bislang abgelehnt wurden, aber mit Erst- oder Zweitwunsch an das Georg-Büchner-Gymnasium wollten, jetzt die Anmeldung an diesem Gymnasium ermöglicht werden. Ein erneutes Anmeldeverfahren ist hier nicht notwendig.