Die fünfte Jahreszeit – so nennen die Rheinländer den Karneval, und das zeigt schon, welche große Rolle das so genannte Winterbrauchtum spielt. Zu Jahresbeginn wird an den Wochenenden zu Hunderten von Sitzungen und närrischen Bällen geladen, dann naht der jecke Höhepunkt: D´r Zoch kütt! So rufen Kölner und Düsseldorfer einmütig, wenn die bunten Karnevalszüge durch ihre Städte rollen. In der alemannischen Fasnet wird hingegen der große Narrensprung erwartet. CityNEWS gibt einen Überblick über die Höhepunkte des Karnevals, lustige Bräuche in verschiedenen Regionen Deutschlands, Kostüme und närrisches Geschichtliches.
Am 11.11. geht das jecke Treiben los!
Für ein paar Tage im Jahr einmal ein anderer Mensch oder gar ein Tier sein. Sich ganz nach Gusto als Hexe, Teufel oder armes Huhn mit Hühnergrippe verkleiden. Im Karneval ist (fast) alles möglich. Und weil das so viel Spaß macht, nehmen sich viele Rheinländer ebenso wie ihre Gäste über die so genannten “tollen Tage” Urlaub, um ausgelassen feiern zu können.
Wobei diese “Tage” ein dehnbarer Begriff sind. Die eingefleischten Jecken, die gern auch in Karnevalsgesellschaften organisiert sind, begehen schon am 11.11. um 11 Uhr 11 mit einer großen Party die Eröffnung der Session. Man sieht, die 11 ist eine närrische Zahl. Dann beglückt der Düsseldorfer Erzschelm, der Hoppeditz, den Oberbürgermeister mit einer lustigen Rede zum Sessionsstart. Am gleichen Tag stellt sich in Köln das Dreigestirn (bestehend aus Prinz, Bauer und einer männlichen Jungfrau) und in Düsseldorf ebenso wie in vielen Orten des Rheinlands das amtierende Prinzenpaar offiziell vor.
Diese Herrschaften übernehmen bis zum Aschermittwoch die Regierung über das närrische Volk. Was de facto bedeutet, dass sie von Sitzung zu Sitzung tingeln, um überall Grußworte zu sprechen und kräftig Helau oder Alaaf zu rufen. Im schwäbisch-alemannischen Raum werden übrigens meist die weihnachtlichen Festtage abgewartet, bis dann am Dreikönigstag, 6. Januar, das muntere Treiben mit einem kräftigem “Ju-Hu-Hu-Hu!” seinen Lauf nimmt. Mancherorts wird dies obendrein mit einem lautstarken Knall gefeiert, zum Beispiel in Rottweil, wo die Buben die Gassen mit einer Fuhrmannspeitsche “klepfen”.
Wenn die “alten Weiber” die Regie im Rathaus übernehmen
Auf ihren Höhepunkt steuern Karneval und Fasnet oder Fasching in der Zeit rund um den Rosenmontag zu. Im Rheinland beginnt traditionell der Ausnahmezustand an Altweiber oder Weiberfastnacht, dem Donnerstag vor Rosenmontag. An diesem Tag übernehmen in den Rathäusern am Rhein die “alten Weiber” die Regie. Wiederum pünktlich um 11 Uhr 11 übergeben die (Ober-)Bürgermeister einem Regiment verkleideter Frauen symbolisch den Rathausschlüssel.
An diesem Tag wird in vielen rheinischen Städten ab Mittag nicht mehr gearbeitet, sondern vor allem in den Kneipen gefeiert. Ähnliches gilt im schwäbisch-alemannischen Raum, wo dieser Tag “Schmotziger Donnerstag” oder “Gumpiger Dunschtig” heißt. Dort gibt es bereits die ersten Umzüge und Straßenfastnachten, außerdem werden die Schüler “befreit”. In Baden-Württemberg, Vorarlberg, aber auch in Schwaben folgt am nächsten Tag der “rußige” oder “bromige Freitag”. Der Name verweist darauf, dass die Narren früher an diesem Tag versuchten, anderen Leuten Ruß ins Gesicht zu schmieren.
Was beim “Zoch” in die Tüte kommt
Kamelle! Was soviel heißen soll wie: Her mit den Bonbons! Dieser Ruf ertönt schon am Sonntag vor Rosenmontag mancherorts im Rheinland. Dann laden nämlich kleinere und mittlere Städte und Stadtteile (in Köln “Veedel”) zu ihren Umzügen ein – mit lustig bunten Wagen, die von den Karnevalsgesellschaften in monatelanger Arbeit selbst gestaltet wurden. In Köln schlägt an diesem Tag die Stunde der “kleineren” Vereine und Schulen. Diese ziehen bei den traditionellen “Schull- und Veedelszöch” (Schul- und Viertelszügen) durch die Straßen.
Der größte Rosenmontagszug Deutschlands macht sich dann am höchsten jecken Feiertag auf den Weg durch die Domstadt. Er ist traditionell länger als sechs Kilometer und wird von mehr als einer Million Maskierter am Straßenrand bejubelt. Die Jecken fordern vor allem lautstark “Strüßjer!” – die beliebten Blumensträußchen, die neben den Kamelle von den Wagen herabgeworfen werden.
Apropos Wurfmaterial: In die weit geöffneten Hände und Tüten der Narren kommt inzwischen so einiges geflogen. Bonbons, Pralinen, Gummibärchen und immer häufiger Bälle oder Taschentücher mit Sponsorenaufdruck. So sieht es auch in Mainz, Eschweiler und Düsseldorf aus, wo (in dieser Reihenfolge) die nächstgrößeren Züge unterwegs sind.
Das ist der Moment des großen Wettbewerbs. Welche Stadt nimmt mit ihren Mottowagen die politischen Verhältnisse besonders treffend aufs Korn? Diese Art der Kritik spielt bei den schwäbisch-alemannischen Narrenzünften keine Rolle – sie ziehen in ihren “Häs” genannten Kostümen geordnet hintereinander beim Narrensprung einher.
Einer hat immer schuld: Der Nubbel
Nach dem Rosenmontag sind allerdings lange noch nicht die letzten Raketen gezündet – was eine besondere Art von Beifall bedeutet. Das närrische Publikum im Sitzungssaal trampelt mit den Füßen und pfeift dazu, zum Beispiel wenn ihm ein Büttenredner (das sind die Comedians des Karnevals) besonders gefallen hat. Genau solche Raketen kann es noch bei Sitzungen und Umzügen am so genannten Veilchen- oder Faschingsdienstag geben, der immer vor dem Aschermittwoch kommt und nach dem Zeitpunkt des beweglichen Osterfestes berechnet wird.
Danach ist der Aschermittwoch stets am 46. Tag vor dem Ostersonntag. Bevor an diesem Punkt der Karneval endet, geht es aber weiter rund. In München zum Beispiel tanzen die Marktfrauen als Höhepunkt des Münchner Straßenfaschings, am Niederrhein – zum Beispiel in Mönchengladbach – gibt es die Veilchendienstagsumzüge. Auch in Köln finden hier noch zahlreiche Veedelszüge (Stadtteilumzüge) statt.
Um Mitternacht schließlich setzt bei den Narren das große Wehklagen ein, denn nun beginnt die Fastenzeit und sie müssen ihre Masken wieder für ein Jahr in den Schrank schließen. Das geschieht allerdings nicht, ohne dass vorher der Erzschelm Hoppeditz in Düsseldorf beerdigt wird, während man in Köln den Nubbel, den personifizierten Sündenbock des Karnevals, verbrennt. Beides sind natürlich nur Strohpuppen, die als Wiedergänger zuverlässig im nächsten Jahr auferstehen.
Vom Narrenruf bis zum Katerfrühstück: Bräuche und Traditionen an Karneval
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Die Narrenrufe
Helau oder Alaaf: Die karnevalistischen Schlachtrufe klingen – je nach Stadt – verschieden- Sie ersetzen an den tollen Tagen das gängige “Hallo” unter den verkleideten Narren. Im Raum Köln erklingt dann ein “Alaaf!”, das laut der Überlieferung auf den altkölnischen Spruch “al af” zurückgeht und soviel bedeutet wie “alles weg”. “Kölle alaaf” würde also in etwa heißen: “(Außer) Köln alles weg!”. Das in Düsseldorf und in anderen rheinischen Orten ebenso wie in Mainz gängige “Helau” soll auf einen Hirtenruf zurückgehen. Das schwäbisch-alemannische “Ju-Hu-Hu-Hu” soll wohl nur einen spontanen Ausdruck der Freude darstellt.
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Die Masken
Erlaubt ist, was gefällt – das gilt für die Maskerade im Rheinland. Anders sieht es bei der schwäbisch-alemannischen Fasnet zum Beispiel in der Karnevalshochburg Aulendorf aus. Dort gibt es eine fast unüberschaubar große Anzahl von Fastnachtsfiguren mit “Häs”, wie die handgefertigten Kostüme heißen. Dazu gehören zum Beispiel die in Stroh gehüllten “Wilden Leute”, aber auch Hexen- und Teufelsgestalten. In Aulendorf gibt es darüber hinaus die beiden Fasnetsfiguren “Fetzle” und “Schnörkele”. Sie sind Symbole des Frühlings und Beweis eines ungebrochenen Lebenswillens. Der Name “Fetzle” hat eine doppelte Bedeutung – gemeint ist damit ein kleiner gewitzter Spitzbube (ein Fetz), aber es ist auch ein Hinweis auf die Fetzen, die kleinen Stoffstücke, aus denen das Kostüm genäht wird.
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Weg mit der Krawatte
Nix für Männer mit Kastrationsängsten! An Altweiber oder Weiberfastnacht ist es im Rheinland Brauch, dass die verkleideten Frauen den Männern mit großen Scheren die Krawatte abschneiden. Das bedeutet: Bloß nicht den teuren Designer-Schlips, sondern einen billigen aus Kunststoff anziehen! Und im Anschluss an den Verlust desselbigen ein “Bützchen” (Küsschen) von der Dame fordern.
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Mutzen futtern
Weil alkoholische Getränke zu Karneval erfahrungsgemäß in Strömen fließen, muss dem Körper zum Ausgleich Fettgebackenes zugeführt werden. Besonders beliebt sind die sogenannten Mutzen, ein frittiertes Gebäck.
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Das Katerfrühstück
Der “dicke Kopf” nach reichlichem Biergenuss gehört für Karnevalisten an den tollen Tagen fast schon zum “guten Ton”. Daher findet am Aschermittwoch Salziges wie der Rollmops oder der Brathering zu Salzstangen zum Katerfrühstück reißenden Absatz. Vor allem Migräne-Anfällige leiden häufig unter den Folgen des berühmten “Glases zuviel”. Wer darauf keine Lust hat und lieber einen klaren Kopf bewahrt, für den gibt es alkoholfreie Alternativen und sogar Sekt ohne “Umdrehungen”.
Ein kurzer Überblick über die Geschichte des Karnevals
Die Wurzeln der Karnevals- und Faschingsbräuche können bis ins alte Rom zurückverfolgt werden. Dort wurde beim so genannten Saturnalienfestes der Unterschied zwischen Herrn und Sklaven aufgehoben, damit man gemeinsam feiern konnte. In diesem quasi paradiesischen Zustand tauschten Reiche und Arme Geschenke aus, die Straßenbäume wurden mit Püppchen aus Ton sowie mit Kerzen geschmückt.
Später – vor allem im Mittelalter – entwickelte sich der Karneval in katholischen Gebieten viel stärker als in protestantischen, aus einem ganz einfachen Grund. Die 40 Tage dauernde Fastenzeit bedeutet noch heute für strenge Katholiken sexuelle Enthaltsamkeit und der Verzicht auf tierische Produkte. Also nicht nur auf Fleisch, sondern auch auf Milch und Käse. Schon allein deshalb musste früher alles Verderbliche verzehrt werden, was bei großen Gelagen mit Tänzen geschah. Das Wort Fasching leitet sich auch von “Fastenschank” ab, also dem letzten Ausschank alkoholischer Getränke vor der Fastenzeit.
Ausschweifungen missfielen der katholischen Kirche
Die katholische Kirche sah die immer wilderen Ausschweifungen mit Missfallen und sprach im 16. Jahrhundert von der “teuflischen Zeit”. Auf diese Weise gab sie den Anstoß zum Entstehen der dämonischen Fratzen, die bis heute Teil des Straßenkarnevals sind. Im 19. Jahrhundert bekam die “fünfte Jahreszeit” in den Karnevalshochburgen des Rheinlands und Rhein-Main-Raumes eine ganz neue Bedeutung.
Dort übernahm es das Bürgertum, dieses Fest zu veranstalten – und dabei die aktuellen Machthaber zu verhöhnen. Das waren in Mainz die Franzosen und in Köln die Preußen. Diese hatten das Rheinland und Westfalen nach dem Wiener Kongress annektiert. Der heutige Karneval soll 1823 in Köln durch eine neue Art der Straßenfastnacht begründet worden sein. In jenem Jahr schlug jedenfalls die Gründungsstunde des “Festordnenden Komitees und es gab den ersten Rosenmontagszug unter dem Motto “Thronbesteigung des Helden Carneval”.
Stunksitzung und Lackschuhkarneval
Während sich die älteren, traditionellen Formen des Faschings in Deutschland vor allem in Baden-Württemberg und Bayern mit der schwäbisch-alemannischen Fastnacht hielten, wird heute im Rheinland mit Gruppen wie Höhner, Bläck Fööss oder Paveier ausgiebig gefeiert. Es gibt die Rosa Funken und schwarzhumorige Veranstaltungen wie die berühmte Stunksitzung, die den inzwischen teilweise recht konventionell gewordenen Karneval persifliert. Wie gesellschaftsfähig Narrentum geworden ist, zeigt sich zum Beispiel beim so genannten “Lackschuhkarneval” in Düsseldorf, bei dem sich die Gesellschaft geschminkt und sorgfältig frisiert in Smoking und Abendkleid trifft.