Die Kölner Jecken werden in diesem Jahr auf eine harte Probe gestellt. Kaum hatten die Stadt Köln und das Festkomitee Kölner Karneval unter dem Hashtag #diesmalnicht ihre Kampagne gegen ausgelassenes Feiern zur Sessionseröffnung am 11.11. verkündet, setzte die Bundesregierung mit der Entscheidung über einen Teil-Lockdown noch drastischere Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Infektionen auf den Plan. Den ganzen November über müssen also auch in Köln Gastronomen ihre Restaurants und Kneipen geschlossen halten. Noch nicht mal kleine angemeldete Feiern, wie ein Gänseessen, sind demnach zum Karnevalsauftakt am 11.11. in der Domstadt möglich. Wie Kölns Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn trotzdem den Optimismus bewahrt und mit vielen anderen Jecken Lösungen aus der Krise sucht und findet, erzählt er im exklusiven Interview mit CityNEWS.
Weg vom mega-professionellen Karneval – hin zu den Wurzeln
CityNEWS: Sie sind Kölner Festkomitee-Präsident und Bestattungsunternehmer. Diese beiden Rollen scheinen sich durch die Pandemie sehr nah gekommen zu sein. Zumindest ein Teil des Karnevals wird ja in diesem Jahr buchstäblich “zu Grabe getragen”?
Christoph Kuckelkorn: In manchen Punkten sind die Überschneidungen wirklich sehr stark. Wir müssen uns von etwas ganz lieb Gewonnenen, das uns sehr am Herzen liegt, in diesem Jahr ein Stück weit verabschieden. Und dann treten dieselben Mechanismen zutage, wie auch beim Tod oder bei einer Trennung. Nämlich dass man erstmal so einen Abschied realisieren muss. Wir fragen uns: was ist hier überhaupt passiert? Das kommt uns ja allen noch unwirklich vor. Wir Karnevalisten durchleben gerade eine Trauerphase. Man muss das auch echt betrauern können, dass es Karneval dieses Jahr nicht wie gewohnt gibt. Um dann auch wieder frei zu sein und was Neues zuzulassen.
CityNEWS: Was könnte “das Neue” sein?
Christoph Kuckelkorn: Das Neue könnte vielleicht ein kleiner feiner Karneval sein, der sich ganz anders geben wird als gewohnt. Und das muss man dann auch annehmen können. Im Psychologischen ist das wirklich sehr verwandt mit dem Trauerprozess. Daher kenne ich auch die Mechanismen dahinter sehr gut. Wir befinden uns seit einigen Wochen in der Phase der Realisierung und stellen langsam fest: das wird jetzt alles anders. Wir haben zwar ein designiertes Kölner Dreigestirn und ein Kinderdreigestirn, aber wir werden nicht die rauschende Proklamation feiern, wir werden keinen Rosenmontagszug haben. Alles das wird uns mehr und mehr bewusst.
Gleichzeitig wird aber auch die Sehnsucht groß nach etwas, das Konstanz hat. Wir leben im Augenblick in einer Zeit, in der große Unternehmen ins Wanken geraten, ganze Wirtschaftszweige nicht mehr existieren, in der sogar Weltreiche zusammenbrechen. Keiner von uns weiß, ob seine eigene Stelle noch sicher ist. Wir merken jetzt, dass in zweiter, dritter und auch vierter Reihe der Dominoeffekt eintritt und plötzlich Branchen betroffen sind, die wir anfangs gar nicht so im Blick hatten. Alles ist ja irgendwie verbunden und bedingt sich gegenseitig. Das spüren wir jetzt. Und hier ist etwas Wiederkehrendes, wie Fastelovend oder Weihnachten, ein total wichtiger Anker für die Menschen.
CityNEWS: Nun sind aber die Kneipen geschlossen und alle Veranstaltungen abgesagt. Wo können wir also den Anker auswerfen?
Christoph Kuckelkorn: Wir müssen schauen, dass wir über die Wege, die uns bleiben, den Karneval zu den Menschen bringen. Also zum Beispiel über das Internet oder Fernsehen. Selbst im Lockdown sollte jeder zuhause den Karneval irgendwie mitverfolgen und sich daran erfreuen können. Es geht hier auch darum, Zuversicht gewinnen zu können. Das halte ich für ganz wichtig.
CityNEWS: Gibt es beim Kölner Festkomitee derzeit einen Krisenstab, um Lösungen zu diskutieren?
Christoph Kuckelkorn: Unser Vorstand tagt wöchentlich, das war schon vor Corona so. Und das ist jetzt unser Krisenstab. Bei wichtigen Entscheidungen, wie einer Absage des Rosenmontagszuges, holen wir den Karnevalistischen Beirat und den Aufsichtsrat mit ins Gremium. Da wird dann abgewogen in größerer Runde und letztendlich entschieden. Danach sitzen wir wieder zusammen und schauen, wie wir nach den neuen Gegebenheiten neu planen können und gucken, was können wir jetzt machen. Wir haben das Gefühl, dass bei vielen Menschen der Karneval so fest verankert ist, dass sie doch irgendwas machen wollen und ehe das dann völlig unkontrolliert geschieht, versuchen wir, an entscheidenden Stellen Ventile zu schaffen, sodass die Menschen gar nicht auf dumme Ideen kommen.
Christoph Kuckelkorn zur Sessionseröffnung in Corona-Zeiten
CityNEWS: Gibt es denn schon konkrete Ideen für den 11.11.?
Christoph Kuckelkorn: Wirklich final ist derzeit nichts. Wir haben gelernt, dass wir nur noch von Tag zu Tag planen können und sind davon überzeugt, dass es eine extrem improvisierte Session geben wird. Wir haben den Dreigestirns Auftrittskalender auf Null gesetzt. Es gibt schon neue Buchungen, aber auch noch viele Lücken. Wir sind davon überzeugt, dass sich die Lücken schließen werden, aber eben ganz spontan und improvisiert. Und das hat auch seinen Reiz, finde ich.
CityNEWS: Sie sind Karnevals-Experte. Woran erinnert Sie das?
Christoph Kuckelkorn: Der Karneval der Nachkriegszeit war nicht anders. Das Dreigestirn wurde eine Woche vor Rosenmontag proklamiert, dann war eine Woche Karneval und Schluss. Eine lange Session vom 11.11. bis Aschermittwoch ist ja neuzeitlich. Wir kommen jetzt auf genau so etwas zurück, wo Literaten eine Woche vor der Veranstaltung überlegen: ok, wir machen eine Sitzung, was soll denn da passieren? Und das kann auch total befreiend und schön sein. Das wird wieder ursprünglich. Wir müssen wieder weg vom mega-professionellen Karneval und kommen zu den Wurzeln zurück, zum ur-karnevalistischen. Ich könnte mir vorstellen, wenn wir den Rahmen haben, dass wir kleine Veranstaltungen wieder machen können, dass sich das sehr gut anfühlt. Und dass es auch neue Befruchtungen gibt.
CityNEWS: Sie wirken trotz aller Umstände sehr gut gelaunt. Wo nehmen Sie Ihren grenzenlosen Optimismus her?
Christoph Kuckelkorn: Ich bin so. Und ich kann auch nicht anders (lacht!). Ich sehe es als meine Aufgabe an, zu motivieren. Diesen Optimismus trage ich auch in die Vereine. Und die Präsidenten folgen diesem Weg. Es gibt wirklich keine Gesellschaft, die gesagt hat: wir machen jetzt gar nichts und schmeißen einfach hin. Jeder hat so ein paar Ideen, kleine Sachen, auch total verrückte darunter, das hätte ich gar nicht für möglich gehalten. Alle haben etwas in der Schublade und warten nur darauf, dass die Gelegenheit kommt, die Ideen umzusetzen. Das wird sehr spannend.
Kölner Karneval auf Distanz
CityNEWS: Inwieweit werden in die Überlegungen auch Kinder, Senioren und kranke Menschen einbezogen?
Christoph Kuckelkorn: Das sind verschiedene Bereiche, die man trennen muss. Eines steht fest: Die Schull- und Veedelszöch, wie wir sie kennen, wird es nicht geben in der kommenden Session. Jetzt überlegen wir natürlich: was tritt an diese Stelle? Da sind wir bereits mit den Schulen im Austausch. Wir haben zum Beispiel ein Veranstaltungskonzept, dass sich ‘Pänz große Pause‘ nennt. Das heißt, das Kölner Kinderdreigestirn und eine Musikgruppe besuchen die Schulen. Das haben wir in den letzten Jahren begonnen und das hatte eine irre Nachfrage. Und auch die Nachfrage für nächstes Jahr ist groß. Da wird jetzt über besondere Konzepte nachgedacht.
Zum Beispiel könnten die Kinder an den Klassenzimmerfenstern sein und das Kinderdreigestirn auf dem Schulhof. Man kann das alles machen, das geht auch auf Distanz. Da muss man eben erfindungsreich sein. Und genauso überlegen wir uns das für ein Krankenhaus oder ein Seniorenheim. Muss es denn der Veranstaltungsraum in diesen Einrichtungen sein? Was geht zum Beispiel auch über das hauseigene Fernsehen? In bestimmten Bereichen könnten die Karnevalisten auch nur über die Flure laufen. All das überlegen wir gerade zusammen mit den Leitungen von Schulen, Kliniken und Einrichtungen für alte und kranke Menschen.
CityNEWS: Das hört sich nach viel Aufwand an. Was treibt Sie an?
Christoph Kuckelkorn: Wir wissen aus den letzten Jahren, was das bedeutet für die Menschen, wenn der Karneval zum Beispiel in ein Krankenhaus kommt. Wir kennen die Blicke der Pänz in der Kinder-Onkologie, wenn das Kinderdreigestirn plötzlich auftaucht. Wir wissen, was das mit den Kindern macht. Und das ist so unglaublich wertvoll, dass wir alles daransetzen müssen, diese positive Grundstimmung des Karnevals auch in diesem Jahr wieder zu transportieren. Das muss einfach sein. Das ist für alle großartig. Fürs Altenheim gilt das übrigens genauso. Wie oft haben wir Menschen erlebt, die unter Demenz leiden, die aber plötzlich mit dem Dreigestirn Karnevalslieder singen, obwohl sie ein Jahr nicht gesprochen haben. Da werden ganz tiefe Sachen berührt. Und da ist der Karneval so wichtig.
Christoph Kuckelkorn: In Köln ist irgendwie jeder Karnevalist
CityNEWS: Für Sie steht also fest: der Karneval MUSS stattfinden?
Christoph Kuckelkorn: Wir wehren uns im Festkomitee ja ganz vehement gegen Stimmen, die den Karneval ganz absagen wollen. Natürlich muss es für Feier-Hotspots, wie die Zülpicher Straße, strikte Verbote geben. Aber das verstehen wir auch nicht unter Brauchtum. Der Karneval hat so viele Facetten, die enorm wichtig sind. Die brauchen auch wir als Karnevalisten. Das ist ja eine Wechselwirkung. Was glauben Sie, was das mit dem Kölner Dreigestirn macht, wenn das Trio plötzlich in einer tief berührenden Situation mit Tränen in den Augen im Krankenhaus oder Pflegeheim steht? Deshalb haben wir das Dreigestirn auch nie in Frage gestellt.
CityNEWS: Wie wird die Rolle des Ehrenamts definiert in Pandemiezeiten?
Christoph Kuckelkorn: An und für sich ändert sich daran nichts. Die Struktur des Karnevals ist ja zu 100 Prozent ehrenamtlich. Wir haben bestimmt eine halbe Millionen Ehrenamtler in Köln, also die halbe Stadt. Oder sicher noch viel mehr. Ich frage Sie: Wo fängt Ehrenamt an und wo hört es auf? Wenn die Mutter für das Kind ein Kostüm näht, damit es im Zoch mitgehen kann, das ist doch genauso Ehrenamt wie die Rolle des Dreigestirns. Wir haben es hier mit einer tiefen Volksbewegung zu tun. Das ist ziemlich einmalig in der Welt. Es gibt viele Städte, in denen Karneval gefeiert wird, ob das Rio oder Venedig ist. Aber diese Durchdringung in alle Gesellschaftsschichten, das ist in Deutschland, gerade im Rheinland und eben in Köln, ganz besonders. In Köln gibt es nicht DIE Karnevalisten, da ist irgendwie jeder Karnevalist. Die Abgrenzung zum Ehrenamt ist deshalb schwierig.
CityNEWS: Das Festkomitee ist die Institution, die das Ehrenamt zum Handeln bewegt. Welche Losung geben Sie dieses Jahr aus?
Christoph Kuckelkorn: Kreativ sein, überlegen: was kann im gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen stattfinden? Was macht meinen Verein aus?
Der 11.11. wird kein sehr karnevalistischer Tag
CityNEWS: Und die Karnevalisten stehen in den Startlöchern?
Christoph Kuckelkorn: Genau. Jeder ist im Augenblick dabei und überlegt, schaut Nachrichten, wägt ab, was geht und was nicht. Jeder möchte, dass wir im Karneval irgendwie stattfinden können, daher sind alle Karnevalisten sehr regelkonform in ihren Überlegungen. Und jeder ist auch bereit, am 11.11. einen Schritt zurück zu tun, damit es dann vielleicht im Frühjahr schon bessere Ausgangsbedingungen gibt.
CityNEWS: Der Teil-Lockdown bis Ende November ist beschlossene Sache. In diesen Zeitraum fällt auch der Sessionsauftakt am 11.11. Wie verbringen Sie den Tag?
Christoph Kuckelkorn: Derzeit ist geplant, dass wir uns mit dem Dreigestirn morgens auf den Weg ins Rathaus machen, um den Vertrag zu unterschreiben. Anschließend geht es zur WDR-Übertragung, aber weitere Termine wird es nicht geben. Der Karneval findet ja nicht auf der Straße statt, deshalb werden wir eine TV-Übertragung nicht auf dem Heumarkt wie sonst, sondern ohne Publikum haben. Da kann ich dann nachmittags im Home-Office, im Büro oder zuhause auf der Couch mit der Familie mal eben in den Live-Stream schauen. Ich werde sicher auch in der Stadt ein bisschen unterwegs sein, um zu gucken, was machen die Menschen dort, sind unsere Pläne aufgegangen und halten sich die Leute an die Auflagen und Appelle, zuhause zu bleiben und nicht zu feiern? Das wird kein sehr karnevalistischer Tag.
CityNEWS: Ihr Appell an die Bevölkerung?
Christoph Kuckelkorn: Wer den Karneval liebt, bleibt dieses Jahr zuhause, um sich und andere zu schützen! Ich appelliere dringend an die Kölner Bevölkerung, private Feiern zu meiden. Bitte halten Sie sich an die Auflagen! Es ist genau definiert, was möglich ist und was nicht. Jeder kann den Karneval im Live-Stream verfolgen, aber bitte mit der Familie und ohne Party! Nur so können wir weiterreichende Maßnahmen verhindern!
CityNEWS: Bei vielen Karnevalsveranstaltungen wird für den guten Zweck gesammelt. Diese Gelder fehlen jetzt. Wie hoch schätzen Sie den Verlust?
Christoph Kuckelkorn: Wir schauen gerade sehr genau, wie sich der finanzielle Bereich des Karnevals formiert. Als erstes war es von Bedeutung, das Ehrenamt zu schützen. Deshalb war es so wichtig, dass der Karneval ein Quasi-Verbot von ganz oben bekam, damit die Vereine aus den Verträgen zurücktreten können, damit sie nicht die Saalbetreiber im Nacken haben, sich mit den Musikern auseinandersetzen müssen etc. Jetzt gucken wir: was machen wir mit der Infrastruktur? Was machen wir mit den Saalbetreibern, mit den Künstlern, Technikern?
Das geht ja bis zum Reinigungspersonal im Gürzenich. Da stehen alle Existenzen auf der Kippe. Und das geht dann soweit, dass wir uns am Ende des Tages auch Gedanken machen müssen: wie geht das mit dem sozialen Bereich des Karnevals weiter? Wir wissen, über zwei Millionen Euro sind jedes Jahr in bar vom Karneval in soziale Projekte gegangen. Damit meine ich keine Sachleistungen, sondern reine Barleistungen. Wir wissen, dass viele Vereine nur durch den Karneval gefördert werden. Das fällt wahrscheinlich komplett weg. Und da müssen wir gucken: wo ist die Not am größten und wie können wir das auffangen?
Kölner Karneval zwischen Wirtschafts- und Sozialfaktor
CityNEWS: Zwei Millionen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man bedenkt, dass in der Session rund 600 Millionen Euro Umsatz generiert werden. 5.000 Arbeitsplätze sind direkt und indirekt vom Karneval abhängig. Wie wollen Sie dem begegnen?
Christoph Kuckelkorn: Genau das ist der Grund, warum wir im Karneval Entscheidungen so genau abwägen. Wir wissen eben, was da dranhängt. Es geht ja nicht darum, dass ein paar Ehrenamtler jetzt keinen bunten Hut aufhaben, sondern der Wirtschaftsfaktor Karneval ist immens. Ebenso bedeutend ist der Sozialfaktor Karneval und da muss man sehr vorsichtig mit umgehen. Deshalb versuchen wir auch, in dieser Session wenigstens das möglich zu machen, was eben auch möglich ist.
CityNEWS: Können Sie die bevorstehenden Verluste beziffern?
Christoph Kuckelkorn: Wir sind gerade dabei, eine neue Studie zu fertigen. Diese wird in den nächsten Wochen veröffentlicht. In der Studie fragen wir unter anderem ab, wie der Best Case und der Worst Case unter den derzeitigen Bedingungen aussehen. Dann können wir auch bewerten, welche Bereiche im Karneval besonders gefährdet sind. Vor allen Dingen dient die Studie auch dazu, aufzuzeigen, wo langfristiger Schaden entsteht. Wenn zum Beispiel Technikfirmen ins Wanken geraten und nicht mehr existieren, werden sich Techniker neue Jobs suchen müssen. Und wenn die Bands dann plötzlich wieder spielen wollen, haben sie keine Leute. Und ich frage mich: wenn die Techniker erstmal in geregelten Nine-to-Five-Jobs sind und ihre soziale Sicherheit haben, wer von denen wird das leichtfertig wieder aufgeben?
CityNEWS: Mit wem tauschen Sie sich über solche Fragen aus?
Christoph Kuckelkorn: Ich habe kürzlich mit anderen deutschlandweiten Veranstaltern über genau dieses Problem gesprochen. Die machen sich extrem Sorgen um das Abwandern von Know-how. Auch in den großen Veranstaltungsbüros suchen sich die Mitarbeiter Jobs in anderen Bereichen. Und die werden wahrscheinlich nicht mehr zurückkommen. Und dann fehlt das Knowhow nicht mehr nur in der Technik. Ob das jetzt ein Musical ist oder ein großes Festival, da haben viele Unternehmen Angst, dass sie personell wieder bei Null beginnen müssen.
Das Unplanbare doch irgendwie vorherzusehen …
CityNEWS: So viele ungeklärte Fragen und Unwägbarkeiten. Da ging Ihre Wiederwahl zum Festkomitee-Präsidenten für weitere drei Jahre fast unter. Ist das jetzt ein komplett neuer Job?
Christoph Kuckelkorn: Ich habe genau das mit meiner Frau besprochen. Was war das für ein Amt, was ist es jetzt und was macht das mit mir? Man muss hier schauen: wo komme ich her im Karneval? Ich bin Kölner Rosenmontagszugleiter gewesen. In Zeiten mit Terror, Bombendrohungen, mit großen Pferdeunfällen, mit Sturmwarnungen, also ich glaube, ich habe im Vorfeld so viel Krisenmanagement betreiben müssen, dass das ein fester Bestandteil meiner Denke geworden ist.
Im Festkomitee sind wir auf schwierige Situationen gut vorbereitet. Wir haben ja schon im April / Mai dieses Jahres festgelegt, dass wir Mitte September mit der Staatskanzlei entscheiden wollen, wie es mit dem Karneval gehen könnte. Genau an diesen Zeitplan haben wir uns gehalten. Wir sind auf einem guten Weg, sind zudem sehr eng verdrahtet mit der Landesregierung. Das Unplanbare doch irgendwie vorherzusehen, das ist das Wichtige und das ist uns auch im aktuellen Fall gut gelungen bisher.
CityNEWS: Beschäftigen Sie sich eigentlich derzeit nonstop mit Corona im Festkomitee?
Christoph Kuckelkorn: Das Thema nimmt schon viel Raum ein, aber wir schauen auch in die Zukunft. In 2023 feiert der Karneval 200-jähriges Bestehen. Viele Vereine werden 200 Jahre alt. Das ist ein Riesen-Festjahr, das wir vorbereiten im Hintergrund. Da sind wir mit Volldampf dran. In 2023 wird der Karneval ein deutliches Statement in der Stadt setzen. Das gibt uns allen wieder Energie. Ich persönlich genieße die Meetings, die sich um das große Jubiläum drehen. Da können wir wieder im normalen Fahrwasser planen. So hoffen wir.
Christoph Kuckelkorn über die Coronavirus-Krise
CityNEWS: Karneval hin oder her: Sie sind auch als Unternehmer von der Krise betroffen. Wie erleben Sie die Corona-Zeit in Ihrem Kölner Bestattungsunternehmen?
Christoph Kuckelkorn: Die erste Phase war unglaublich schrecklich, weil es ständig neue Verordnungen gab. Keiner kannte die Infektionswege und Krankheitsverläufe. Wir haben die schlimmen Bilder aus dem Ausland gesehen. Das war für uns schockierend, denn wir haben auch Unternehmerfreunde, zum Beispiel in den USA. Wir haben aber auch gesehen, dass der Sterbeverlauf hier in Deutschland sehr mild war.
An Grippe sterben im Jahr deutlich mehr Menschen. Das waren statistisch keine großen Zahlen, auch nicht für Köln. Dennoch war unser Berufsstand von Anfang an sehr betroffen, weil direkt Trauerfeiern verboten wurden. Man durfte die Trauerhallen nicht mehr benutzen, die Angehörigen durften nur im 1. Grad bei der Bestattung dabei sein. Gott sei Dank wurde schnell beschlossen, dass auch der direkte Partner dabei sein darf, also Ehefrau oder Gatte, auch wenn das keine Verwandtschaft 1. Grades ist. Es waren also kleine Gemeinden von fünf oder zehn Leuten bei einer Beerdigung.
CityNEWS: Gab es Situationen, in denen Sie sich besonders machtlos und traurig fühlten?
Christoph Kuckelkorn: Zum Beispiel beim Tod von Marie-Luise Nikuta. Da haben wir gedacht, das ist eine Frau, die dem Karneval und dieser Stadt so viel geschenkt hat, die hätte eine grandiose Bestattung verdient. Wir wollten das Begräbnis erst aufschieben, aber ab einem gewissen Grad ist das für eine Familie nicht mehr tragbar. Da muss man dann eben im kleinen Kreis die Trauerfeier begehen. Das zeigt aber, wie skurril die Situation ist. Und wie viele Menschen mit ihrer Trauer allein gelassen werden. Wir hatten Familien, wo die Familie in Quarantäne war und wo die Bestattung des Ehemannes ohne die Familie stattfinden musste. Das waren echt total kranke Situationen. Kaum auszuhalten. Wir haben uns dann sehr gefreut, als nach und nach Lockerungen kamen und Abschied wieder möglich wurde.
CityNEWS: Wie ist die Situation mittlerweile?
Christoph Kuckelkorn: Es ist immer noch sehr reduziert alles, es dürfen nur ganz wenige Menschen in die Trauerhalle und der Rest muss draußen bleiben. Aber die Familien dürfen ihre Angehörigen zum Beispiel wieder am offenen Sarg besuchen, was ja so ungeheuer wichtig ist in der Trauerarbeit. Eine Berührung ist für den Trauernden und auch den Kondolierenden so enorm wichtig. Daher immer für Abstand zu sorgen, ist derzeit unsere größte Herausforderung. Immer wieder hinzugehen und an die Abstandregeln zu erinnern.
Das ist wohl die schlimmste Situation im Leben: man hat einen geliebten Menschen verloren und hat noch nicht mal jemanden, den man drücken kann. Die letzten Monate haben gezeigt, die Menschen verstehen das immer mehr, die tragen ihre Masken alle vernünftig. Alte Menschen werden bewusst auf Distanz gehalten. Hat ein bisschen gedauert, aber jetzt funktioniert das.
Die Bestattung verliert den Repräsentationscharakter während der Pandemie
CityNEWS: Was bedeutet der erneute Teil-Lockdown im November für die Bedingungen bei Trauerfeiern?
Christoph Kuckelkorn: Bisher haben sich die Gegebenheiten rund um Trauerfeiern und Beisetzungen nicht weiter verschärft. Darüber sind wir sehr glücklich, denn grade in der Trauer ist es wichtig, eine Gemeinschaft, natürlich auf Abstand und mit entsprechender Schutzmaske, zu bilden und den Familien Beistand zu leisten.
CityNEWS: Wurde eigentlich mehr gestorben während der Pandemie?
Christoph Kuckelkorn: Im Mai waren wir wirtschaftlich zehn Prozent unter dem Vorjahr. Warum? Viele Operationen wurden aufgeschoben, es gab nicht so viele Verkehrsunfälle durch den Lockdown, die Leute sind nicht in den Urlaub gefahren. Aber die Arbeitsbedingungen wurden intensiver, zum Beispiel durch das Führen von Kontaktlisten zur Nachverfolgbarkeit von möglichen Infektionsketten. Wir hatten also alle Hände voll zu tun.
CityNEWS: Inwieweit haben Sie wirtschaftlich gelitten?
Christoph Kuckelkorn: Bei so eingeschränkten Bedingungen verliert die Bestattung den Repräsentationscharakter. Dann ist der Sarg nicht mehr so wichtig. Es wird nicht unbedingt eine Zeitungsanzeige geschaltet oder Drucksachen verschickt. Es gibt kein Essen danach, der Sarg ist einfacher, das ganze Leistungsspektrum wird weniger. Das haben wir schon deutlich gemerkt. Die Menschen sind überall einen Schritt zurück gegangen. Und dasselbe erleben wir jetzt auch im Karneval.
CityNEWS: Apropos Karneval: Glauben Sie, dass wir je wieder so feiern können wie die letzte Session?
Christoph Kuckelkorn: In der jetzigen Situation ist das total schwer vorstellbar. Wenn ich mir Fotos anschaue aus dem letzten Jahr, denke ich nur: was waren wir reich beschenkt? So eng beieinander stehen zu können. Das wird einem jetzt erst bewusst. Man kann sich das gar nicht mehr vorstellen. Ich hoffe aber, dass wir da wieder hinkommen, aus verschiedenen Gründen. Erstmal ist das für uns Menschen wichtig, dass wir als Gemeinschaft zusammenstehen. Vielleicht ist es für uns auch wichtig, zu bemerken, was wir gehabt haben und wie wichtig das für uns war. Wir können nur alle hoffen, dass wir da wieder hinkommen. Wir brauchen das Schunkeln, Singen und Bützen auch für unser Immunsystem und für unsere Psyche.