Lebensmittel-Lügen satt: Hühnersuppe ohne Huhn, Putenwurst aus Schwein, Klebefleisch statt Steak

Fleisch pur oder Fälschung? / copyright: Thomas Lohnes/ ddp
Fleisch pur oder Fälschung?
copyright: Thomas Lohnes/ ddp

Dass auch in Deutschland Fertiglasagne mit Pferde- statt Rindfleisch in den Regalen liegt, sorgt für Empörung. So richtig wundern dürfte das aber nur die wenigsten Bundesbürger. Denn schon vor dem Skandal fühlten sich 72 Prozent der Verbraucher von der Lebensmittelindustrie häufig getäuscht.

Dies ergab die jüngste Studie des Bundesverbands der
Verbraucherzentralen
(vzbv) von Ende Januar. Tatsächlich
halten nach Ansicht von Verbraucherschützern unzählige Produkte nicht
das, was auf der Verpackung so vollmundig und appetitlich bebildert
angekündigt wird. Von wegen Erdbeerquark mit “extra viel Frucht”,
Apfelkuchen “aus unserer Region”, Schafskäse “nach traditioneller Art”:
Da werden beispielsweise Früchte in Joghurt oder Quark durch
kostengünstige Aromen ersetzt. Ein Gramm Aroma kann etwa einem Kilogramm
Lebensmittel den Wunschgeschmack geben. Das ist erlaubt und gilt sogar
für Tiefkühlobst, eingelegte Gurken, Margarine oder Fischkonserven.

In
der Putensalami steckt vor allem Schweinefleisch drin, in der
Hühnersuppe kein Stückchen Huhn, im Rucola-Pesto vorrangig Petersilie
und im Wellness-Wasser wiederum Aroma. Der Maracujasaft strotzt nur so
vor Orangenextrakt, der vermeintlich griechische Schafskäse ist aus der
billigeren Kuhmilch gemacht und die Äpfel auf dem Kuchen stammen
garantiert nicht aus der Heimatregion.

Die vielen Mogeleien und
Irreführungen häufen sich, wie Armin Valet von der Hamburger
Verbraucherzentrale berichtet. “Das verunsichert die Konsumenten und
nervt.”

Schinken- und Käseimitate auf Pizzen

Nicht einmal
auf Angaben wie “ohne Konservierungsstoffe”, “ohne Geschmacksverstärker
oder “ohne Farbstoffe” ist Verlass, wie Verbraucherschützer warnen.
Damit werde Getränken, Milchprodukten, Tiefkühlkost oder Fertiggerichten
nur ein natürliches Image angeheftet. Mehr steckt nicht dahinter. Was
die Täuschungsmanöver entlarven kann, ist ein Blick auf die
Zutatenliste. Die muss vollständig sein.

“Gang und gäbe” seien
inzwischen auch Billigimitate, betont Ernährungsexperte Valet.
Nachbauten machen Essen billiger. Angefangen hat der Trend mit
Analogkäse“. Das Imitat sieht aus und schmeckt wie Käse, hat mit dem
Naturprodukt aus Milch aber wenig zu tun. Es wird preisgünstig kreiert
aus Eiweiß, Pflanzenfetten, Verdickungsmitteln, Geschmacksverstärkern,
Aroma- und Farbstoffen. Dazugekommen sind mittlerweile jede Menge
Schinkenimitate, in denen nur noch etwa 60 Prozent echtes Fleisch drin
steckt. Der Rest besteht aus Wasser, Binde- und Verdickungsmitteln.
Analogkäse und Schinkennachbauten sind auf Pizzen und in Nudelgerichten
zu finden – in Fertigessen wie auch in der Gastronomie. Käseimitate
zieren häufig auch überbackene Brötchen oder Laugenstangen.

Außerdem
im Angebot: Nachgeahmte Garnelen, Surimi genannt. In dem
laborgeformten, gefärbten und aromatisierten Fischbrei ist von Garnelen
keine Spur zu finden. Trotzdem landet er in Meeresfrüchtecocktails.
Grundsätzlich sind Imitate erlaubt – solange sie als solche ausgewiesen
werden. Nur: Die Lebensmittelüberwachung der Länder findet immer wieder
falsch deklarierte Produkte, auch in der Gastronomie, wie Valet
kritisiert. Verbraucher haben nur dann eine Chance zu merken, was sie
sich einverleiben, wenn Händler und Gastronomen fair sind.

Von wegen Steak

Zur
Trickkiste gehört auch “Klebefleisch”: Das Enzym Transglutaminase macht
es möglich, Fleischfetzen zu einem ganzen Stück zusammenzufügen. Es
wird aus einem Bakterium gewonnen, dem Streptomyces mobaraensis, und
vernetzt die Proteinstränge in Nahrungsmitteln. So entstehen täuschend
echt aussehende Scheiben Rinderfilet, Nussschinken oder
Hähnchenfleischschnitzel. Oder eine Scheibe Fisch aus Resten. Eine neue
Qualität der Irreführung, wie Jutta Jaksche vom vzbv bemängelt. Das
Enzym macht auch Würstchen knackiger, Schinkenscheiben fester und
Joghurt haltbarer.

Transglutaminase ist erlaubt, nicht
gesundheitsbedenklich und in der Lebensmittelindustrie neuerdings gang
und gäbe. Das Ausgangsmaterial für Mogel-Fleisch, die Reste, sind
billiger als ein gewachsenes Stück. Eigentlich müsste es auf der
Verpackung draufstehen, wenn das Enzym im Spiel war. Auch in
Metzgereien, Gaststätten und Kantinen muss informiert werden. Nur halten
sich Erzeuger, Handel und Gastronomie vielfach nicht daran, wie
Verbraucherschützer monieren.

Wer den Tricks nicht auf den Leim
gehen will, muss beim Einkaufen aufpassen wie ein Luchs und das
Kleingedruckte über Zutaten und Mengen möglichst genau studieren. “Aber
wer macht das schon beim Einkaufen”, gibt Valet zu bedenken. Und wenn,
wie beim Pferdefleisch, der Inhalt von vornherein falsch deklariert ist,
haben Konsumenten ohnehin keine Chance, nicht über den Tisch gezogen zu
werden.

Produkte mit Pferdefleisch nach Deutschland geliefert

Nach Großbritannien droht nun auch in Deutschland
ein Skandal um nicht deklariertes Pferdefleisch in Lebensmitteln. Aus
einer Lieferliste des EU-Schnellwarnsystems ergebe sich, “dass über
einen Zwischenhändler aus Luxemburg Produkte in größerem Umfang nach
Deutschland und NRW geliefert wurden, die im Verdacht des
Kennzeichnungsverstoßes mit Pferdefleisch stehen”, erklärte das
nordrhein-westfälische Verbraucherschutzministerium am Mittwoch in
Düsseldorf. In Großbritannien war vergangene Woche zum zweiten Mal
innerhalb kurzer Zeit undeklariertes Pferdefleisch in Lebensmitteln
gefunden worden.

Die Lieferungen erfolgten demnach wohl zwischen
November 2012 und Januar 2013 und betreffen nicht nur Discounter und
Supermarktketten, sondern auch andere Lebensmittelunternehmen. Nähere
Details wollte ein Sprecher des Ministeriums mit Hinweis auf die
laufenden Ermittlungen nicht nennen. Derzeit versuche das
Landesumweltamt, in den Betrieben noch vorhandene Proben aus dem
Zeitraum für Untersuchungen sicherzustellen. Weitere Informationen
sollten am Mittwochnachmittag bekanntgegeben werden.

Auch aus dem
Bundesverbraucherministerium hieß es am Mittwoch, dass
Lasagne mit Pferdefleisch nach Nordrhein-Westfalen geliefert worden sein
könnte
. Eine Sprecherin sagte, es werde derzeit überprüft, ob diese
Produkte bereits vom Markt genommen worden seien. Die Bundesregierung
werde am Abend in Brüssel an einer Sondersitzung zum
Pferdefleisch-Skandal teilnehmen, da nun auch Deutschland offenbar von
der Lieferung des falsch deklarierten Fleischs betroffen sei.
“Verbrauchertäuschung ist kein Kavaliersdelikt”, betonte die Sprecherin.

Die
Lieferliste mit den Unternehmen hat das NRW-Ministerium nach eigenen
Angaben am Dienstagabend vom EU-Schnellwarnsystem erhalten. Zuvor hatten
die in NRW ansässigen Supermarktketten Aldi Nord, Aldi Süd, Metro Cash
& Carry, Lidl
und Rewe (hierzu gehören auch Penny und Toom) laut Behörde mitgeteilt, keine Tiefkühlprodukte aus
Großbritannien importiert zu haben. Deutschlands größter Lebensmittelhändler Edeka erklärte auf Anfrage, er
prüfe derzeit seine Eigenmarkenprodukte. Bislang lägen aber noch keine
Ergebnisse vor.

Die Supermarktketten Real und Kaiser’s Tengelmann hatten in den
vergangenen Tagen bereits vorsorglich Produkte aus ihren Regalen
genommen. Real stoppte den Verkauf von Mini Cheeseburgern des
Lieferanten Agro on sowie von Lasagne der eigenen Handelsmarke Tip.
Kaisers’s Tengelmann nahm Tiefkühl-Lasagne der Hausmarke A&P aus dem
Verkauf. Beide Unternehmen betonten allerdings, es handele sich um
vorsorgliche Maßnahmen.

Verdächtige Produkte sollen “in größerem Umfang” in die Bundesrepublik geliefert worden sein

Der Pferdefleisch-Skandal hat Deutschland erreicht. Über einen
Zwischenhändler in Luxemburg seien “in größerem Umfang” verdächtige
Tiefkühlprodukte in die Bundesrepublik geliefert worden, sagte der
nordrhein-westfälische Verbraucherschutzminister Johannes Remmel (Grüne)
am Mittwoch in Düsseldorf. In den meisten Fällen gehe es dabei um
Tiefkühl-Lasagne.

Undeklariertes Pferdefleisch könnte nach seinen
Worten unter anderem in Produkten der Kaiser’s Tengelmann Eigenmarke
A&P“, der Edeka-Marke “Gut & Günstig“, der Markant-Marke “Jeden
Tag
” und des Tiefkühldienst-Unternehmens Eismann enthalten gewesen
sein. Allerdings steht der Beweis für noch aus.

Der Minister
sagte, nachdem die EU eine Lieferliste über verdächtige Produkte
übermittelt habe, bemühe sich seine Behörde derzeit, die Lieferwege
nachzuvollziehen und Proben sicherzustellen. Erste Produkte seien
bereits in den Labors, doch werde der Test wohl drei Tage dauern. Erst
dann könne gesagt werden, ob und wenn ja, wie viel Pferdefleisch die
Produkte enthielten.

Die Lieferungen der verdächtigen Chargen
erfolgten nach bisheriger Kenntnis zwischen November 2012 und Januar
2013. Betroffene Unternehmen hätten aber offenbar schon vor der
aktuellen Warnung aus Brüssel Verdacht geschöpft und selbstständig
einige Produkte aus dem Angebot genommen, berichtete der Minister. Doch
seien die Behörden davon nicht informiert worden. Dies sei zwar
rechtlich nicht zu beanstanden, erschwere aber die Aufarbeitung des
Skandals.

Falsch gekennzeichnete Produkte

Die deutschen Behörden haben am Dienstagabend
(12. Februar 2013) über das europäische Schnellwarnsystem für
Lebensmittel
(RASFF) eine Meldung der Behörden in Luxemburg über
mögliche falsch gekennzeichnete Produkte mit Pferdefleisch erhalten. Es
besteht der Verdacht, dass falsch gekennzeichnete Produkte auch nach
Deutschland geliefert wurden.

Es handelt sich um unterschiedliche verarbeitete Produkte, darunter
Lasagne. Die Produkte wurden von einem Lieferanten an ein Kühlhaus in
Nordrhein-Westfalen geliefert.

Es ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht auszuschließen, dass auch weitere Produkte, Unternehmen oder Bundesländer betroffen sind. Die für die Lebensmittelüberwachung zuständigen Behörden in
Nordrhein-Westfalen prüfen derzeit, ob die Empfänger bereits alle
Produkte vom Markt genommen haben.

Die Überwachungsbehörden prüfen außerdem, ob in den Produkten
tatsächlich Pferdefleisch enthalten ist. In Deutschland haben in den
vergangenen Tagen bereits verschiedenste Untersuchungen von Seiten der
Behörden und Unternehmen stattgefunden. Das Bundesverbraucherministerium
steht im Austausch mit den Länderbehörden, mit der Europäischen Union
und anderen Mitgliedstaaten und lässt sich fortlaufend über die
Entwicklung unterrichten.

Ein Vertreter des Bundesverbraucherministeriums wird an einem
informellen Treffen der betroffenen europäischen Mitgliedstaaten in
Brüssel teilnehmen, bei dem über die Situation beraten wird. Das
Bundesministerium wird die Bundesländer über die Ergebnisse des
Brüsseler Treffens unterrichten.

Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner erklärte: “Der Skandal um falsch gekennzeichnete
Produkte muss schnell und lückenlos aufgeklärt werden. Jetzt müssen alle
Fakten auf den Tisch. Wir haben es hier mit einem schlimmen Fall von
Verbrauchertäuschung zu tun – das ist ein klarer Verstoß gegen geltende
Gesetze. Was auf der Verpackung drauf steht, muss auch drin sein –
darauf müssen sich Verbraucher in der EU jederzeit verlassen können.
Wenn Kunden offenbar systematisch getäuscht werden, darf das nicht ohne
Konsequenzen bleiben.”

Die EU-Kommission prüft derzeit die Einführung einer verpflichtenden
Herkunftskennzeichnung für verarbeitete Produkte. “Die Verbraucher haben
Anspruch auf größtmögliche Transparenz und wir erwarten baldmöglichst
praktikable Vorschläge zur Umsetzung”, sagte Aigner. Aber zur Wahrheit
gehöre auch, dass eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung den
aktuellen Skandal nicht hätte verhindern können. “Wir haben strikte
Gesetze, deren Einhaltung konsequent überwacht werden muss. Wenn
einzelne Personen offenbar vorsätzlich falsch deklarierte Ware in
Verkehr bringen, helfen nur scharfe Kontrollen, um dies zu verhindern.”

Verbraucher können sich bei Fragen an die Verbraucherlotsen des Bundesverbraucherministeriums wenden unter der Telefonnummer: 0228 – 24 25 26 27 (Montag bis Donnerstag, 8:00 bis 18:00 Uhr) oder per E-Mail unter info@verbraucherlotse.de.

Autor: dapd / BMELV/ MKULNV Redaktion