Thomas Hitzlsperger: Das überlesene Interview – ein Gastkommentar von Dr. Jan F. Orth

Thomas Hitzlsperger: Das überlesene Interview – ein Gastkommentar von Dr. Jan F. Orth copyright: Lara Dengens / pixelio.de
Thomas Hitzlsperger: Das überlesene Interview – ein Gastkommentar von Dr. Jan F. Orth
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Ein Gastkommentar von Dr. Jan F. Orth (Richter am Landgericht und renommierter Kölner Sportrechtler) zur aktuellen Debatte um Homosexualität und Homophobie im Spitzensport, ausgelöst durch das Outing von Ex-Fußball-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger.

Der wichtige Schritt von Thomas Hitzlsperger offenbart bemerkenswerte Innenansichten in den deutschen Fußball. Ein Debattenbeitrag. Man sollte meinen, dass die zahllosen öffentlichen Äußerungen zu Thomas Hitzlsperger eine Reaktion auf sein Interview in der Zeit und die Videobotschaft auf seiner Homepage war.

Sie waren es nicht. Insbesondere die Boulevardpresse hat Thomas Hitzlspergers Äußerungen auf sein öffentliches Coming-Out als prominenter deutscher Fußballprofi und ehemaliger Nationalspieler reduziert. Obwohl dies ein wichtiger Aspekt ist, erschöpfte sich der Nachrichtenwert vielfach darin. Ich meine, dass es zu dem Interview von Thomas Hitzlsperger mehr zu sagen gibt und einigen Passagen bislang noch keine ausreichende Beachtung geschenkt worden ist. Mir scheinen für eine übertriebene Darstellung einige Dinge auch unangemessen beflügelt worden zu sein.

Die angebliche “Kampfansage” von Thomas Hitzlsperger etwa, ganz am Ende seiner Videobotschaft, “Wichtig ist es nur für die Leute, die homophob sind, andere ausgrenzen aufgrund ihrer Sexualität, und die sollen wissen, sie haben jetzt einen Gegner mehr.” klingt bei genauem Zuhören und lebensnaher Betrachtung eher sympathisch und defensiv als militärisch und aggressiv. Es überrascht daher nicht, dass Thomas Hitzlsperger nicht in die Ecke einer neuen “Schwulen-Ikone” gedrängt werden will.

(K)ein außergewöhnliches Interview von Thomas Hitzlsperger

Zunächst ist das Interview nicht außergewöhnlich. Thomas Hitzlsperger sagt vieles, das schon gesagt wurde. Viele schwule Männer haben Ähnliches ebenso empfunden und es ebenso artikuliert. Das ist ein wichtiger Schritt zur Selbstfindung, zur Identifikation mit der eigenen sexuellen Identität. Insoweit bleibt Thomas Hitzlsperger ein junger schwuler Mann wie jeder andere auch. Er hat sich auf einen (sehr individuell längeren oder kürzeren) Weg gemacht, herauszufinden, wie er wirklich ist. Außergewöhnlich wird es trotzdem, weil Thomas Hitzlsperger es als herausstehender Fußballprofi, als eine öffentliche
Person, sagt.

Auch das kann man kritisch hinterfragen. Was sind wir für eine Gesellschaft, in denen Ansichten und Meldungen einen gesellschaftlichen Status deswegen erhalten, weil sie von einem Prominenten stammen oder ihn/sie betreffen? Rechtfertigt z.B. der unbestritten außergewöhnliche sportliche Erfolg von Michael Schumacher diese umfassende Berichterstattung über seinen Ski-Unfall und seinen Gesundheitszustand? Oder deklassieren wir damit die vielen anderen Ottonormal-Ski-Unfall-Opfer? Die zeitgleich über ähnliche Verletzungen um ihr Leben kämpfen und deren Familien mit ebenso schrecklichen wie
gleichfalls berichtenswerten Schicksalsfragen konfrontiert werden?

Bewusst derMedienlandschaft ausgesetzt

Man kann diese Fragen beantworten, wie man mag. Sie lassen jedenfalls die Rahmenbedingungen der öffentlichen Äußerung von Thomas Hitzlsperger erkennen, welche ihm auch bewusst waren. Er hat sich nach professioneller Beratung bewusst der Medienlandschaft ausgesetzt. Auch wenn immer noch niemand so recht erklären kann, warum die Homosexualität von Sportlern als deutsche Spezialität im internationalen Vergleich ein besonderes Lieblingskind der (Sport-)Journalisten ist. Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, wie “heiß” dieses Thema in der öffentlichen Wahrnehmung bei uns seit jeher war, verdient der Schritt von Thomas Hitzlsperger öffentlich das immer noch Intimste, nämlich seine Sexualität, mit uns zu besprechen, den höchsten Respekt.

Das gleiche gilt für seine Absichten – “Ich möchte eine öffentliche Diskussion voranbringen – die Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern. Ich möchte dazu beitragen, indem ich einmal öffentlich darüber spreche, dass die sexuelle Orientierung eines Sportlers wieder seine Privatangelegenheit wird, weil es auf diesem Gebiet einfach nichts Unnatürliches gibt.” (Thomas Hitzlsperger in der Zeit.)

Auch wenn ihm – soweit sind wir ja mittlerweile doch in Deutschland – ein Stigma sicherlich nicht mehr anhängen wird, ist die Aussicht, von dummen Kollegen oder ewig-gestrigen Stammtischlern mit “kleinen Widerlichkeiten und Anzüglichkeiten” (E. Schapira) – die kommen werden! – diffamiert zu werden, kein wünschenswerter Ausblick. Aus diesem Grund verdient sein Beitrag, die Beflügelung der öffentlichen Diskussion durch ein Interview mit höchster Wahrnehmung, großen Applaus.

“Homosexualität wird im Fußball ignoriert”

Thomas Hitzlspergers Interview-Feststellung “Homosexualität wird im Fußball schlicht ignoriert.” ist zu widersprechen, weil sie so nicht stimmt. Sicherlich, Totschweigen und Ignorieren sind beliebte Methoden zur Behandlung unliebsamer und hochkomplexer Themen. Interessanterweise widerspricht Thomas Hitzlsperger sich an dieser Stelle selbst. Was die Wahrnehmung und Behandlung von Schwulsein im Profifußball angeht, weist das Interview auf spannende Inkonsistenzen hin. Indem ich darauf ganz vorwurfsfrei hinweise, offenbart dieses Spannungsfeld eine unglaubliche Ambivalenz mit dem Thema.

Dass Ignoranz nur eine Spielart im professionellen Fußball ist, mit Homosexualität umzugehen, ergibt sich aus den Darstellungen von Thomas Hitzlsperger selbst. Er beschreibt aggressive Ablehnung als Umgangsform, als er in seinem Zeitinterview nicht nur mit “dumme[n] Sprüche[n], dumme[n] Witze[n]” Formen der verbalen, mit der “Aufforderung zur Ausgrenzung” der psychischen und mit der “Aufforderung zur Gewalt” schließlich sogar Formen der brachialen  Gewalt beschreibt.  Auch dieser Befund ist vernichtend und zeigt welche erheblichen Führungsdefizite bei Verantwortlichen bestehen, die solche Szenen in Profikabinen zulassen (möglicherweise ja auch in England oder Italien und nicht zwingend in Deutschland).

Nichts anderes als Mobbing

Arbeitsrechtlich ist das nichts anderes als Mobbing. Und selbstverständlich sind Führungskräfte verpflichtet einzuschreiten, wenn es zu so etwas kommt. Wenn diese Führungskräfte die entsprechende Kompetenz mitbrächten. Hier ist mit Sicherheit ein weiterer Ansatzpunkt für die Aus- und Weiterbildung auch von Trainern und anderen Mannschaftsverantwortlichen gegeben. Hiernach tut es gut zu erfahren, dass es mit Bundestrainer Joachim Löw auch ein Positivbeispiel für Jemanden gibt, der sich sachlich-inhaltlich vernünftig und positiv mit diesem sehr persönlichen Thema seines Spielers auseinandersetzten konnte, auch wenn selbst dieser sich einst bemüßigt fühlte, in einem eigens arrangierten Interview der rumorenden Presselandschaft zu erklären, er sei nicht schwul und trage darüber hinaus auch kein Toupet.

An welche Umgangsform man nun gerät, sei es Ignoranz im Sinne von “Ignorieren” und Totschweigen, sei es Ambivalenz (ich nicht, bei anderen okay), sei es Ablehnung oder sei es positive Unterstützung und ein sensibler Umgang, ist Zufall. Das ist der eigentliche Skandal! Ich habe schon immer gesagt, dass ich überzeugt bin, dass es in den Vorständen der besten Clubs und der herausgehobenen Verbände (auf nationaler und internationaler Ebene) hervorragende, gebildete, liberale und offene Persönlichkeiten gibt, die wirklich dazu stehen, wenn sie einem Fußballer, der sich als Aktiver outet, allen nur möglichen Support zusagen.

Schwul- und Lesbischsein

Ich glaube ebenfalls, dass diese Leute vollkommen offen im alltäglichen Umgang mit Schwulen und Lesben sind und vernünftige Ansichten über die alltägliche Relevanz der sexuellen Identität eines anderen Menschen haben. Und ich fühle – würde es verlangt werden –, dass diese Persönlichkeiten sich tatsächlich schützend und unterstützend vor einen schwulen Fußballprofi stellen würden, indem sie zumindest die Position vertreten, dass Schwul- oder Lesbischsein als Selbstverständlichkeit in unserer modernen Gesellschaft anerkannt ist. Allerdings gibt es hier zweierlei anzumerken. Erstens kam es zu einem Test, ob dies alles vielleicht doch nicht nur Lippenbekenntnisse sind, bislang nicht. Und zweitens: Wie wir spätestens jetzt genau wissen, gibt es im Fußball auch viele andere.

Dennoch, und das ist ein ermutigender Gedanke. Ob man an sozialkompetente oder -inkompetente Mannschaftsverantwortliche gerät, sollte zukünftig keine Frage des Zufalls mehr sein. Sondern vielmehr eine Frage der richtigen Schulung und Auswahl. Wie schon bislang wird bei der Auswahl des Cheftrainers und des Trainer-/Betreuerstabs  in den Profivereinen nicht allein auf die wichtige Fußballkompetenz geschaut werden dürfen. Sie bleibt sicherlich das Hauptauswahlmerkmal. So wie sich aber der Fußball und die Fußballspieler professionalisiert haben, so muss sich auch die Clubleitung und das Funktionsteam professionalisieren und sich durch Aus- und Weiterbildung in Mitarbeiterführung (einschließlich Diversityaspekten) den modernen Herausforderungen stellen. Das fordert alleine ihre Stellung als Arbeitgeber(vertreter) oder leitender Angestellter.

Sorgen und Nöte

Diese Sozialkompetenzen müssen natürlich auch unbedingt in den Jugendbereich der leistungsorientierten Vereine sowie die Leistungszentren transportiert werden. Fragestellungen zur eigenen sexuellen Identität ergeben sich häufig mit besonderer Intensität in der Pubertät. Professionelle Ausbildungszentren schulden den Jugendlichen nicht nur eine hervorragende fußballerische Ausbildung, sondern auch eine pädagogische Betreuung. Die bei allem Fokus auf das künftige Ziel als Profifußballer auch auf Sorgen und Nöte eingehen kann, die je nach Leidensdruck existenziell werden können.

Die Fortsetzung des Textes und weitere Infos finden Sie hier auf dem Blog (www.janforth.de) von Dr. Jan F. Orth