Wenn ein Gedanke genügt: Gehirn steuert Maschine

Wenn ein Gedanke genügt: Gehirn steuert Maschine. / copyright: Dahl / TU Berlin/Pressestelle
Wenn ein Gedanke genügt: Gehirn steuert Maschine.
copyright: Dahl / TU Berlin/Pressestelle

Allein mit Gedankenkraft den Cursor am PC steuern, Armprothesen bewegen oder auf einer mentalen Schreibmaschine tippen – Brain-Computer Interfaces (BCIs) könnten künftig schwerstgelähmten Menschen zu mehr Autonomie verhelfen.

„Was nach Science-Fiction klingt, ist ein vielversprechender Forschungsbereich der Neuromedizin. Hier sind in naher Zukunft wichtige Innovationen für Patienten mit Querschnittslähmung, Schlaganfall oder Locked-in-Syndrom zu erwarten“, erklärt der Neurologe Professor Gabriel Curio, Leiter der Arbeitsgruppe Neurophysik der Klinik für Neurologie an der Charité Berlin. BCIs „lesen“ die elektrische Hirnaktivität der Patienten, die schon beim reinen Gedanken an eine Bewegung entsteht, und übersetzen sie in technische Steuersignale für Geräte und Maschinen. „Die innovative Technik ermöglicht uns neue Erkenntnisse über die Funktion des Gehirns und neue Therapieansätze, die den Patienten ein Stück Lebensqualität zurückgeben“, so Professor Ralf Gold, erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Noch ist die Anwendung der BCIs allerdings auf kontrollierte Studien beschränkt – und sie werfen neue ethische Fragen auf.

Gehirnaktivität wie auf einer Landkarte erfassen

Die Hirnrinde eines Menschen enthält Milliarden elektrisch aktiver Nervenzellen, deren Signale bis zur Kopfhaut weitergeleitet werden. Die Spannungsschwankungen werden von BCIs mittels Elektroden auf der Kopfhaut als Elektroenzephalogramm (EEG) registriert. So werden Gedanken der Patienten, die sich in elektrischen Impulsen ausdrücken – etwa die Vorstellung, einen Arm zu bewegen –, in einen Befehl für die Gerätesteuerung übersetzt; selbst über das Internet ist solch eine Kommunikation möglich.

„Wir können die Gehirnaktivität wie auf einer Landkarte umso genauer erfassen, je mehr Elektroden wir auf der Kopfhaut anbringen“, erklärt Curio, der die Technik im interdisziplinären Forschungsprojekt „Berlin Brain-Computer Interface (BBCI)“ gemeinsam mit Professor Klaus-Robert Müller (Fachgebiet Maschinelles Lernen) und Professor Benjamin Blankertz (Fachgebiet Neurotechnologie) von der TU Berlin entwickelt.

Um allein mit Gedanken eine Maschine steuern zu können, steht am Anfang eine Trainingsphase, allerdings nicht für den Patienten: „Der Computer lernt, nicht der Mensch“, sagt Curio. Eine Person muss sich dabei auf Kommando bestimmte Dinge vorstellen, zum Beispiel die linke oder die rechte Hand zu bewegen. Der Lernalgorithmus des Computers bekommt dabei die Zeitpunkte der Kommandos für die linke und die rechte Handbewegung mitgeteilt. Schon nach 60 bis 80 Durchläufen kann er jene Gehirnsignale erkennen, die für bestimmte Tätigkeiten typisch sind.

Roboterarme und virtuelle Schreibmaschinen – Hoffnung für schwerstgelähmte Patienten

Brain-Computer Interfaces bieten vielfältige Anwendungsmöglichkeiten und große Hoffnungen für schwerstgelähmte Patienten. Etwa für Menschen mit Locked-in-Syndrom – einer neurologischen Erkrankung, die als Folge eines Hirnstamminfarktes, Amyotropher Lateralsklerose oder Unfällen dazu führt, dass die Patienten bei vollem Bewusstsein vollständig gelähmt sind und lediglich die Augenlider bewegen können. Unvorstellbar, was es für die Lebensqualität solcher Patienten bedeutet, wenn sie zum Beispiel eine virtuelle Schreibmaschine allein mit ihren Gedanken steuern können. „Sie melden sich so kommunikativ wieder in der Welt zurück“, sagt Curio.

BCIs sind aber auch für Neuroprothesen einsetzbar, etwa um einen Roboterarm mittels Gedankenkraft zu steuern. „Mit einem Exoskelett, das voller Elektronik steckt und einem Raumanzug ähnelt, könnten Gelähmte es sogar schaffen, sich wieder auf zwei Beinen fortzubewegen“, erklärt Curio. Bei der Fußball-WM 2014 in Brasilien führte ein Querschnittsgelähmter im Exoskelett symbolisch den Anstoß aus. Auch in der Neurorehabilitation von Schlaganfallpatienten spielen BCIs eine Rolle. Durch Ableitung der motorischen Gehirnsignale und Neurofeedback lässt sich aufdecken, welche Signale für die Bewegungssteuerung zuständig sind. Patienten könnten so nach und nach lernen, ihr Gehirn „umzuprogrammieren“.

Elektroden auf der Kopfhaut oder als Gehirnimplantat

So vielversprechend die Entwicklung auch ist: „BCI-Systeme gibt es nicht auf Krankenschein, sie werden derzeit nur im Rahmen kontrollierter Studien getestet. Es wird noch etliche Jahre dauern, bis wir ein System haben, das die Patienten im Alltag verwenden können“, prognostiziert Curio. Zum Beispiel sind die Elektroden auf der Kopfhaut, für deren Leitfähigkeit größere Mengen Gel notwendig sind, bisher alles andere als alltagstauglich. Geforscht wird daher an Elektroden, die nur mit Metallplättchen arbeiten, oder an nahezu unsichtbaren Miniaturelektroden, die mit einem winzigen Tropfen Gel über Adhäsion an der Kopfhaut haften. Neben diesen risikofreien nichtinvasiven Elektroden arbeiten Wissenschaftler auch mit invasiven Elektroden, die sie unter der Schädeldecke auf der Hirnhaut oder direkt in der Hirnrinde anbringen. Der Vorteil der implantierten Elektroden ist, dass sich zum Beispiel Armprothesen viel präziser steuern lassen. „Dafür muss allerdings operiert werden, was – wie jeder Eingriff – Risiken mit sich bringt“, betont Curio.

Mehr Sicherheit im Job dank Mensch-Computer-Schnittstellen?
BCIs eignen sich auch für Gesunde. „Allerdings nur in der nichtinvasiven Variante“, so Curio. Die Neuroergonomie untersucht zum Beispiel die Gehirnaktivität an sicherheitskritischen Arbeitsplätzen, die besonders hohe Konzentration erfordern. In einer Studie zeichneten Forscher Gehirnsignale von Personen auf, die an einer simulierten Gepäckkontrolle wie am Flughafen arbeiteten. „Wir konnten anhand der Gehirnsignale erkennen, wann sie müde wurden und Fehler machten“, sagt Curio. Einige Unternehmen haben die Nutzung der EEG-Daten bereits für sich entdeckt: Sogenannte EEG-Stirnbänder sollen es ermöglichen, sich durch Rückmeldung des eigenen Hirnstrommusters, ähnlich dem klassischen Neurofeedback, besser zu konzentrieren. Die Hersteller können sich langfristig auch den Einsatz der Technik bei PC-Spielen oder als Fernbedienung vorstellen. „Mit der medizinischen Forschung hat diese spielerische Anwendung zwar nichts zu tun“, sagt Curio. Trotzdem: „Die Erweiterung der BCIs auf diesen Massenmarkt würde den medizinischen Anwendungen helfen, weil die Preise fallen.“

Menschen, Medizin, Machbarkeit – dürfen wir alles, was wir können?

Zwar sind Gehirn-Computer-Schnittstellen ein vielversprechendes und hochinnovatives Forschungsfeld, das neue Erkenntnisse über die Funktion des Gehirns ebenso ermöglicht wie die Entwicklung neuer Therapien. Doch zur Anwendung im Alltag sind noch einige technische und auch ethische Herausforderungen zu meistern – von den erforderlichen Humanexperimenten und einer Nutzen-Risiko-Analyse der Intervention ins menschliche Gehirn bis hin zu neuen ethischen Fragen der technischen Manipulation des Menschen. „Bisher war die Grenze zwischen Mensch und Technik scheinbar klar zu ziehen. Aber wie gehen wir damit um, wenn menschliche Entscheidungsfindung und Technik ineinandergreifen und diese Grenze zunehmend verschwimmt?“, gibt Curio zu bedenken.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e. V.