Der Blue Ridge Parkway, eine der beliebtesten Touristenstraßen Amerikas, feiert in diesem Sommer 75-jähriges Bestehen. Mit einer Länge von 755 Kilometern ist das aussichtsreiche Bauwerk nicht die kürzeste, aber touristisch reizvollste Verbindung zwischen Great Smoky Mountains mit dem Cherokee-Reservat in North Carolina und Shenandoah-Nationalpark in Virginia.
Nicht schneller als mit Tempo 72 rollen Autos, Bikes und Caravans über die für den Berufsverkehr gesperrte, werbungsfreie Trasse – vorbei an waldbedeckten Bergen, saftig grünen Almen, Wanderwegen, Kletterfelsen, Seen und Flüssen. Jede Menge Platz zum Ausruhen, Angeln, Reiten oder Paddeln.
Zwei Stunden nördlich von Charlotte, der größten Stadt im US-Bundesstaat North Carolina, sind die Blue Ridge Mountains fern genug, dass sie tatsächlich blau erscheinen. Dennoch reicht die Nähe, um das idyllische Anwesen von Doughton Hall bei Laurel Springs wie eine Filmkulisse zu umrahmen. Dachs und Waschbär sagen sich hier Gutenacht. Es ist ein Ort für Liebespaare und Fans von ländlicher Gemütlichkeit. Am Abend, wenn die Grillen zirpen, wähnt man sich in einer Episode von «Die Waltons». Die TV-Familienserie wurde in den 1970ern in dieser Gegend gedreht. Ein beliebtes Urlaubsziel war sie schon damals, nicht zuletzt wegen des Blue Ridge Parkway.
«Genau hier wurde 1935 mit dem Bau der Straße begonnen», sagt Bob Bamberg, der das Besucherzentrum im nahen Sparta leitet. Das gewaltige Projekt, das örtliche Baufirmen jahrzehntelang mit Arbeit versorgte, war ein Kind des hier lebenden Kongressabgeordneten Robert Doughton. «Der Parkway sollte Touristen nach North Carolina locken, und er tut es bis heute», sagt Bamberg und schwärmt von der montanen Szenerie – von kulturellen Highlights wie dem Biltmore Estate in Asheville (das wie ein französisches Renaissanceschloss aussieht), von dem historischen Fahrzeugmuseum Wheels Through Time in Maggie Valley, von Restaurants wie dem Switzerland Inn, wo man die besten Froschschenkel Amerikas bekommt. Sicher hatte das Fernweh auch Doughton beflügelt. Die Appalachen wirken wie Magneten, besonders nach mehr als einem Tag in Laurel Springs.
Es geht los. Doch die Ruhe kommt mit. Denn der Parkway ist eine Bummelstrecke. Wellness auf Rädern. Einsam knattert eine Harley vorbei. Die Berge kommen näher. In Boone ist Wochenmarkt, ein buntes Treiben auf dem Parkplatz – mit Ziegenkäse, Häkeldeckchen und gut gelaunten Farmersleuten. Alle haben Zeit und viel zu erzählen. Die meisten Storys kennt David Davis. Der 54-jährige Bauunternehmer trägt nicht nur die Kleidung des 18. Jahrhunderts. Er lebt auch in der Zeit von Daniel Boone (1734-1820), nach dem die kleine Stadt benannt ist. Um drei Ecken ist der Hobbyhistoriker sogar verwandt mit dem legendären Jäger und Abenteuer. Ihm zu Ehren hat er Hickory Ridge Homestad aufgebaut, ein Open-Air-Museum aus restaurierten Blockhütten mit vielen Originalen. Den ganzen Sommer lang steht David mit seinen Theaterkollegen auf der benachbarten Freilichtbühne und erweckt in «Horn in the West» mit großen Szenen die Befreiungskämpfe der Vorväter zum Leben.
Für kleinere Heldentaten bietet Boone noch immer Gelegenheit – etwa beim Felsen- oder Höhlenklettern oder weiter oben in Hawksnest. Dort lässt sich die waldige Bergwelt bei einer Zipline-Tour erkunden. 3,2 Kilometer misst das Netz aus bis zu 45 Meter hoch hängenden Seilen, das in 13 Abschnitten per Sitzgurt an der Rolle «abgefahren» wird. Das manchmal teuflisch windige Gebiet gehört zu «Town of Seven Devils». Hinter der Kirche liegt «Grandfather», ein Berg, dessen Profil dem eines alten Mannes ähnelt. Zwischen Oberlippe und Nase befinden sich ein Museum und ein sehr schöner Tierpark, in dem Bären, Otter und Pumas leben.
Ganz oben, auf der 1818 Meter hohen Stirn des Berges, staunt man über die 1952 erbaute Hängebrücke Mile High Swinging Bridge. Sie gehört mit einer 70 Meter hohen Aufhängung zu den höchsten Hängebrücken der USA und bietet eine spektakuläre Aussicht. Bis auf 2037 Meter hinauf geht es beim Mount Mitchell. Kein Gipfel der Appalachen überragt ihn an Höhe. Nur an Mystik übertrumpfen ihn die Great Smoky Mountains. Die oft von Nebelschleiern eingehüllten Berge spielen in der Mythologie und Geschichte der Cherokee-Indianer eine große Rolle. Viel Wissenswertes über das alte amerikanische Volk vermittelt das Museum in Cherokee sowie das Oconaluftee Indian Village im Reservat Qualla Boundary am südlichen Ende des Blue Ridge Parkway.
Autor: ddp-Korrespondent Carsten Heinke