Die Blindensitzung in Köln ist die einzige Karnevalsveranstaltung, bei der sich Prinz, Bauer und Jungfrau vom Publikum anfassen lassen. Die “Muuzemändelcher” und der Blinden- und Sehbehindertenverein Köln organisieren das Programm. Karneval mal ganz anders – und besonders nah.
Bei den langen Zöpfen fängt Marisa Sommer
an. Dann streicht sie über die Arme ihres Gegenübers und befühlt mit
ihren zarten Fingern das gestickte Wappen, das auf der Brust der
Jungfrau des Kölner Dreigestirns prangt. Anschließend steht Marisa
Sommer vor dem Prinzen. Behutsam wandern ihre Hände über dessen
Oberkörper und Arme. “Das ist ein ganz enges Kostüm”, sagt die
51-Jährige leise. Der Prinz nickt und vertraut ihr an, dass er auf
keinen Fall zunehmen darf. “Dass ich das Dreigestirn anfassen kann, ist
etwas ganz Besonderes für mich”, schwärmt die Kölnerin. Sie ist blind,
seit mehr als zehn Jahren umgibt sie eine ewige Nacht. Sie liebt den
Karneval und genießt diesen mit allen verbleibenden Sinnen.
“Wichtig ist, dass so viel wie möglich in der
Moderation erklärt wird”, sagt die Vorsitzende des Blindenvereins,
Katharina Basten. “Wenn eine Tanzgruppe auftritt, beschreibt der
Moderator, was die Tänzer anhaben und was sie auf der Bühne machen.”
Sonst sei es so wie überall, meint die 59-Jährige: “Die Leute kommen
her, um richtig zu feiern.”
Unter den Tischen liegen zusammengeklappte Blindenstöcke
Weiße
Stoffdecken liegen auf den Tischen im Ostermann-Saal. Wände und Bühne
sind mit gemalten Karnevalsszenen geschmückt, auf den Tischen stehen
Pappteller mit Knabbereien. Der Saal ist voll mit Matrosen, New Yorker
Cops mit schwarzen Sonnenbrillen und Piraten mit großen dreieckigen
Hüten. Rund 420 Blinde, Sehbehinderte und ihre Begleiter schunkeln,
tanzen und singen mit. Es sieht aus wie bei vielen anderen
Karnevalssitzungen. Nur die zusammengeklappten Blindenstöcke unter den
Stühlen verraten, wer hier feiert.
Nach der Büttenrede trägt die
Band “Kasalla” ihr Schlagzeug auf die Bühne. Sie singen ihr Piratenlied,
rufen laut “Heyo!!” und das Publikum grölt: “Hey Hey Ho!”. Marisa
Sommer tanzt, ihr roter Samtumhang schwingt um ihre Hüften. Eine Hand
bleibt immer am Stuhl. “Das ist meine Insel in dem großen Raum. Ich muss
aufpassen, dass ich den Kontakt nicht verliere”, erklärt sie. Als
“Kasalla” von der Bühne gehen, rufen die Gäste nach einer Zugabe. “Das
Schöne an der Musik ist, dass man dafür nichts sehen muss, sondern dass
das über die Ohren geht”, sagt der Sänger der Band, Bastian Campmann.
Das Highlight ist der Besuch des Kölner Dreigestirns
Lars
ist von Geburt an blind und zum ersten Mal dabei. Der 15-Jährige aus
Dinslaken ist begeistert: “Endlich mal eine richtige Party. Vor allem
das laute Schlagzeug ist echt cool”, sagt er. Er ist als Löwe
verkleidet: Er trägt eine beige Hose und dazu einen sandfarbenen
Pullover mit zotteliger Fellkapuze. Er wiegt seinen Kopf im Takt der
Musik, dreht ihn ein wenig und lächelt zufrieden. Auch für ihn geht ein
Wunsch in Erfüllung. Seine Mutter hat ihm erzählt, dass der Bauer des
Dreigestirns einen großen Hut mit langen Pfauenfedern trägt. Der Junge
befühlt neugierig das grobgliedrige, raue Kettenhemd, dann den schweren
Schlüsselbund am Gürtel des Bauern. Aber sein größter Wunsch ist es, die
Federn zu spüren. Ob das ginge? Der Bauer überlegt kurz, dann tritt er
zwei Schritte zurück und neigt langsam seinen Oberkörper nach vorne, bis
die Federn den Kopf von Lars berühren. Er streichelt ihm damit behutsam
über die Haare und durch das Gesicht. Lars zuckt zusammen, winkelt
schützend seine Arme an. Dann lacht er, dass sein ganzer Körper bebt.
Und ruft laut: “Nochmal!”
Später tritt noch der Jugendchor St.
Stefan auf. Dutzende Jungen und Mädchen in bunten T-Shirts stehen auf
der Bühne, sie singen und bewegen sich im Rhythmus der Musik. Marisa
Sommer hat sich bei ihrem Nachbarn untergehakt, sie schunkelt mit. Für
sie ist es ein wundervoller Abend, sie genießt die Musik, die Witze und
das Kölsch: “Die Stimmung ist super”, schwärmt sie und ruft laut
“Alaaf!”
Autor: dapd / BMELV/ MKULNV Redaktion