Arbeitsverträge dürfen nach einer Entscheidung des europäischen Gerichtshof (EuGH) wiederholt befristet werden, auch wenn das Unternehmen dauerhaft Bedarf an Vertretungskräften hat. Die Zahl und Gesamtdauer der aufeinanderfolgenden befristeten Verträge unterliegt jedoch gegebenenfalls einer Missbrauchskontrolle.
- Das Gericht hatte folgenden Fall zu beurteilen:
Die Klägerin war seit elf Jahren auf der Grundlage von insgesamt dreizehn befristeten Arbeitsverträgen als Justizangestellte in der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Köln beschäftigt. Grund für die stets befristeten Arbeitsverträge war ihr Einsatz als Vertretung unbefristet beschäftigter Kollegen, die sich vorübergehend in Elternzeit befanden oder beurlaubt waren.
Nachdem das Land den letzten Arbeitsvertrag nicht verlängerte, wollte die Klägerin gerichtlich feststellen lassen, dass ihr Arbeitsverhältnis dennoch fortbesteht.
Ihr letzter Arbeitsvertrag, argumentierte sie, müsse als auf unbestimmte Zeit geschlossen gelten. Es liege kein sachlicher Grund vor, der seine Befristung rechtfertige. Bei insgesamt 13 unmittelbar aneinander anschließenden befristeten Arbeitsverträgen innerhalb von elf Jahren könne nicht mehr von einem vorübergehenden Bedarf an Vertretungskräften ausgegangen werden, da solche Kettenbefristungen europarechtswidrig seien. Nachdem die Klage in beiden Vorinstanzen abgewiesen worden war, legte das Bundesarbeitsgericht den Fall dem Europäischen Gerichtshof vor.
- So entschied der EuGH :
EuGH hatte zu beurteilen, ob es gegen das Unionsrecht verstößt, wenn Arbeitsverträge immer wieder befristet werden, obwohl ein Unternehmen offensichtlich dauerhaften Vertretungsbedarf hat. Denn der könnte auch durch die Einstellung eines Arbeitnehmers mit einem unbefristeten Vertrag gedeckt werden. Ein sachlicher Grund für die Befristung ist dann fraglich. Der EuGH stellte fest, dass die Mitgliedstaaten aufgrund der Richtlinie 1999/70/EG verpflichtet sind, Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge zu vermeiden. Dazu gehört, „sachliche Gründe“ festzulegen, die die Befristung und Verlängerung rechtfertigen können.
Im Ergebnis entschied das Gericht dass ständig aneinandergereihte Arbeitsverträge auch trotz offensichtlich dauerhaftem Vertretungsbedarf nicht gegen Unionsrecht verstoßen.
Den vollständigen Text dieser Entscheidung finden Sie unter folgendem Link: http://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?language=de&num=C-586/10
- Was bedeutet diese Entscheidung konkret?
Arbeitgeber dürften aufgrund des Urteils zunächst erleichtert sein und erhalten Rechtssicherheit bei diesen Mehrfachbefristungen: Sofern ein sachlicher Grund für die abermalige Befristung besteht, sind auch solche Kettenbefristungen zulässig. Dabei kann auch der Sachgrund wechseln.
Laut dem EuGH kann der konkrete Bedarf an Vertretungskräften einen sachlichen Grund im Sinne des Gemeinschaftsrechts darstellen. Der rechtfertigt die befristete Einstellung von Aushilfen. Aus dem bloßen Umstand, dass ein Arbeitgeber gezwungen ist, wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückzugreifen, ergebe sich daher kein Missbrauch. Beurteilt wird hierbei der zuletzt geschlossene befristete Arbeitsvertrag.
Der EuGH verlangt aber gleichzeitig, dass der Umfang und die Anzahl der befristeten Verträge vor einer erneuten Verlängerung berücksichtigt werden. Deshalb darf der grundsätzliche und dauerhafte Bedarf an einer zusätzlichen Arbeitskraft nicht mit einer Vertretung abgedeckt werden. Eine solche dauerhaft notwendige Stelle darf nur unbefristet verlängert werden – es sei denn, der Mehrbedarf ist zum Beispiel saisonbedingt begrenzt.
Bei der Beurteilung der Frage, ob die Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrags im Einzelfall durch einen sachlichen Grund wie den vorübergehenden Bedarf an Vertretungskräften gerechtfertigt ist, „müssen die nationalen Behörden jedoch alle Umstände dieses Einzelfalls einschließlich der Zahl und der Gesamtdauer der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen befristeten Verträge berücksichtigen”.
Das Urteil des EuGH ist insbesondere für größere Unternehmen oder Dienststellen mit einem ständigen Bedarf an Vertretungskräften wichtig. Zunächst ist nun klar gestellt, dass (Ketten-)Befristungen zum Zweck der Vertretung unbefristet angestellter Mitarbeiter nicht per se unwirksam sind. Auch bleibt es ihnen weiter allein vorbehalten, in Vertretungsfällen jeweils neu zu entscheiden, wie auf den konkreten Ausfall von Mitarbeitern reagiert wird, selbst wenn die Vertretung durch befristet angestellte Mitarbeiter einen ständigen Bedarf deckt.
Auf der anderen Seite gibt das Urteil aber keinen Freibrief für derartige Befristungsgestaltungen. Nach Auffassung des EuGH sind zur Vermeidung von Missbrauch bei wiederholten Befristungen stets alle Umstände des Einzelfalls zu prüfen und dabei namentlich die Zahl der mit denselben Personen oder zur Verrichtung der gleichen Arbeit geschlossenen aufeinanderfolgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen. Insoweit ändert der EuGH die Prüfungskriterien des BAG in Kettenbefristungsfällen, wonach nur der letzte Arbeitsvertrag der Befristungskontrolle unterfällt.
Autor: RA Christian Kerner