Frank-Jürgen Weise (Bundesagentur für Arbeit) über die aktuelle Diskussionen um Hartz IV

Frank-Jürgen Weise über Hartz IV: Wir wollen weniger Bürokratie und bessere Möglichkeiten zur individuellen Hilfe. / copyright: Bundesagentur f. Arbeit
Frank-Jürgen Weise über Hartz IV: Wir wollen weniger Bürokratie und bessere Möglichkeiten zur individuellen Hilfe.
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Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit im Gespräch über Hartz IV. Lesen Sie hier bei CityNEWS das komplette Interview: Warum wird so viel sanktioniert, Herr Weise?

Herr Weise, die Jobcenter verlieren 42 Prozent der Gerichtsverfahren, wenn Hartz IV-Empfänger gegen Sanktionen klagen – fast die Hälfte aller Sanktionen sind also rechtswidrig. Das ist ja katastrophal …

Frank-Jürgen Weise: Wenn es so wäre, wäre es sehr schlecht. Nur: Die Zusammenhänge stimmen so nicht. Tatsächlich sind es 0,27 Prozent aller Sanktionen, die die Gerichte ganz oder teilweise als rechtswidrig bewerten.

Die Schlagzeilen der vergangenen Wochen klingen aber anders.

Frank-Jürgen Weise: Ein Beweis dafür, was man mit Zahlen alles anstellen kann. Die Fakten sehen so aus: Im Jahr 2013 haben die Jobcenter rund eine Million Sanktionen gegen Hartz IV-Empfänger verhängt. Gegen rund 60.000 dieser Sanktionen wurde Widerspruch eingelegt. In gut 21.000 Fällen haben wir diesem Widerspruch vollständig, in 1300 Fällen teilweise stattgegeben – meistens, weil fehlende Unterlagen nachgereicht wurden. Rund 6000 Fälle sind vor Gericht gelandet, davon haben die Kläger gut 2700 gewonnen. Ich halte das eher für einen Beweis, dass das Sozialgesetzbuch II funktioniert und wir in Streitfällen einen guten Rechtsstaat haben.

Warum wird überhaupt so häufig sanktioniert?

Frank-Jürgen Weise: Weil es Regeln gibt, an die sich manche Menschen nicht halten. Nicht, weil sie bösartig sind, sondern vergesslich oder unkooperativ. Die allermeisten Sanktionen entstehen aus versäumten Terminen oder Meldepflichten.

Und da muss man gleich mit dem Holzhammer kommen?

Frank-Jürgen Weise: Wir brauchen Sanktionen, um die Menschen im Notfall dazu zu bringen, auch ihren Teil zu leisten. Wir geben das Geld der Steuer- und Beitragszahler aus, die hart dafür arbeiten. Da muss ich verlangen, dass Menschen in der Grundsicherung alles dafür tun, um aus dem Arbeitslosengeld II-Bezug heraus und in Arbeit hinein zu kommen.

Trotzdem gibt es ja viele Widersprüche gegen Sanktionen, weil die Menschen sich offenbar zu Unrecht gestraft fühlen. Gibt es Willkür in den Jobcentern?

Frank-Jürgen Weise: Nein. Es gibt zunächst Gesetze, die wir umsetzen müssen. Da haben wir keinen Spielraum. Wo wir Ermessens-Spielräume haben, können Sie davon ausgehen, dass meine Kolleginnen und Kollegen mit großem Augenmaß und Erfahrung entscheiden.

Immer wieder wird behauptet, die Mitarbeiter der Jobcenter müssten eine bestimmte Zahl Sanktionen aussprechen, um ihre Ziele zu erreichen.

Frank-Jürgen Weise: Das ist Unsinn und wird nicht dadurch richtig, dass man es immer wiederholt. Es gibt keine Vorgaben zu Sanktionen, das wäre auch eine völlig verfehlte Geschäftspolitik.

Ist das Sozialgesetzbuch II vielleicht zu kompliziert, so dass keiner mehr durchblickt?

Frank-Jürgen Weise: Wir blicken schon durch. Für den Bürger ist es allerdings schwierig, denn neben dem Gesetz gibt es noch die aktuelle Rechtsprechung, die viele Einzelfälle anders entscheidet, als es in den Paragraphen steht. Dazu wird das Gesetz sehr häufig angepasst. Das macht die Sache nicht leichter und sorgt für fehlende Transparenz beim Bürger.

Hat Ihre Behörde daher Vorschläge zur Vereinfachung des Gesetzes, aber auch zur Verschärfung von Sanktionen gemacht?

Frank-Jürgen Weise: Wir wollen weniger Bürokratie und bessere Möglichkeiten zur individuellen Hilfe. Das geht am ehesten über Entscheidungsspielräume vor Ort. Mit Gesetzen und Paragraphen können Sie nicht jeden Einzelfall im Vorfeld denken und durchbuchstabieren. Bei den Sanktionen sind wir in den meisten Fällen für Erleichterungen und milderen Umgang. Nur dann, wenn sich Menschen total einer Mitarbeit verweigern, haben wir den Vorschlag gemacht, schnell und streng zu handeln.

Wann werden die Pläne umgesetzt?

Frank-Jürgen Weise: Es sind keine Pläne, sondern Vorschläge, die aus der Praxis entstanden sind, Die werden jetzt mit Bund und Ländern diskutiert. Was daraus wird, kann heute niemand sagen.


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