Mit 67 in Rente! Gibt das der Arbeitsmarkt überhaupt her? BA-Chef Frank Jürgen Weise gibt Antworten

Der Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit: Dr. rer. pol. h. c. Frank- J. Weise in Interview / copyright: Bundesagentur für Arbeit
Der Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit: Dr. rer. pol. h. c. Frank- J. Weise in Interview
copyright: Bundesagentur für Arbeit

Jeder der nach 1964 geboren wurde, weiß heute schon, dass er bis 67 Jahre im Job durchhalten muss, um volle Rentenbezüge zu bekommen. Doch derzeit arbeiten nur knapp 40 Prozent der zwischen 55- und 64-Jährigen. Wenn es dabei bleibt, würden also 60 Prozent nicht in den Genuss der vollen Rente kommen.

Herr Weise, wird die Altersarmut steigen?

Weise: Daran glaube ich nicht, denn die demografische Entwicklung wird dafür sorgen, dass ältere Arbeitnehmer in den kommenden Jahren immer stärker gefragt sein werden. Wenn die Generation, die bis 67 arbeiten muss, etwa 60 Jahre alt ist, dann werden in Deutschland fünf Millionen Fachkräfte fehlen. Die Unternehmen werden es sich gar nicht leisten können, auf das Potenzial der Älteren zu verzichten. Allerdings: Für schlecht qualifizierte Arbeitskräfte wird diese Entwicklung nicht im gleichen Maße eintreten, denn es werden vor allem Fachkräfte gesucht werden.

Sie glauben also, man wird die älteren und erfahrenen Spezialisten auf ihrem Gebiet einfach länger beschäftigen?

Weise: Vielen Unternehmen wird gar nichts anderes übrig bleiben. Ich halte es sogar für denkbar, dass in speziellen Berufen und Branchen eines Tages Halteprämien für Ältere gezahlt werden, damit sie vielleicht noch ein oder zwei Jahre bleiben.

Gibt es schon heute erste Tendenzen in diese Richtung?

Weise: Erfahrene Führungskräfte oder auch Ingenieure in bestimmten Fachrichtungen arbeiten in einigen Fällen heute schon über die 65 hinaus, weil ihr Können gefragt ist und auf dem Markt nicht so schnell aufzutreiben ist. Es sind erste Anzeichen für das, was noch kommen wird.

Das klingt ja nach Vollbeschäftigung – ist es aber nicht reichlich optimistisch, auf eine Trendwende am Arbeitsmarkt allein durch die demografische Entwicklung zu hoffen?

Weise: Nein, keineswegs. Wir entwickeln uns eindeutig von einem Markt, der durch ein Überangebot an Arbeitskräften gekennzeichnet war, hin zu einem Markt, der durch ein Überangebot an Arbeitsplätzen gekennzeichnet ist. Allerdings gilt das – wie gesagt – nur für qualifiziertes Personal. Im Bereich der gering oder überhaupt nicht Qualifizierten wird es diese Trendwende am Arbeitsmarkt nicht geben.

War es ein Fehler der Politik, die Frühverrentung im letzten Jahrzehnt so massiv zu fördern?

Weise: Es war vor allem ein Fehler der Unternehmen, auf ältere und erfahrene Arbeitskräfte zu verzichten. Denn deren Expertise fehlt jetzt. Die Fehlanreize der Frühverrentung lassen sich politisch recht kurzfristig beheben.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Klaus Zimmermann begrüßt sogar die Anhebung des Rentenalters und findet sie human, weil die Älteren leistungsfähig sind und so Respekt und Integration am Arbeitsmarkt erfahren. Teilen Sie diesen Standpunkt?

Weise: In weiten Teilen ja. Wir werden ja nicht nur immer älter, sondern wir bleiben länger gesund und leistungsfähig. In vielen Berufen ist es gut möglich, auch über ein Alter von 65 hinaus zu arbeiten. Warum sollte ein Jurist oder ein Kaufmann nicht sogar bis 70 arbeiten, wenn er Freude daran hat und noch erfolgreich ist? In anderen Berufen, die körperlich anstrengend sind, kann es dagegen sein, dass man schon mit 60 Jahren eine Grenze erreicht. Ich bin da für eine differenzierte Betrachtung.

Wird es die Rente mit 70 geben – wie es die EU fordert? Wird das Rentenalter ab 2029 also weiter ansteigen?

Weise: Betrachtet man nur die demografische Entwicklung, so ist eine Rente mit 70 keine Utopie, wenn Deutschland wirtschaftlich mit anderen Nationen weiter mithalten will. Dennoch muss allein die Politik entscheiden, wie sie auf die Herausforderungen der Zukunft reagiert. Es gibt auch andere Möglichkeiten, beispielsweise hochqualifizierte Zuwanderer. Dafür müssten allerdings die Rahmenbedingungen geschaffen werden, denn um diese Kräfte bemühen sich auch andere Volkswirtschaften.

Autor: Redaktion/ Bundesagentur für Arbeit