Ein voller Magen, ein Glas Milch oder Grapefruitsaft – Nahrungsmittel können die Aufnahme von Medikamenten behindern. Oder noch schlimmer: Sie können deren Wirkung verändern oder zu unerwünschten Nebenwirkungen führen.
”Die Freisetzung des Wirkstoffes aus einer Tablette ist wesentlich komplizierter, als viele meinen”, sagt Professor Ingolf Cascorbi, Direktor des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Kiel: “Wer beispielsweise eine Schmerztablette auf vollen Magen einnimmt, muss damit rechnen, dass das Mittel länger für seine Wirkung braucht.”
Genau wie die Nahrung trete ein Medikament eine lange Reise an, bis der Wirkstoff endlich durch den Dünndarm hindurch in den Blutkreislauf gelange, um dort seine Wirkung zu entfalten. Solange eine Tablette, deren Wirkstoff ins Blut gelangen soll, im gefüllten Magen liegen bleibe, bewirke sie in der Regel nichts: Sie befindet sich in der Warteschleife der körpereigenen Biochemie-Fabrik, die Stoffe zerkleinert. Das Medikament wandere erst vom Magen in den Dünndarm weiter, wenn es sich aufgelöst habe oder der Magen sich leere, sagt Cascorbi. Fettreiches, schweres Essen und die gleichzeitige Einnahme von Medikamenten seien deshalb oft nachteilig. Allerdings gebe es auch Ausnahmen: Spezielle Medikamente, die sich aufgrund ihrer chemischen Zusammensetzung sehr schlecht in Wasser, aber relativ gut in Fett lösen, wie etwa Posaconazol, das gegen Pilzinfektionen wirkt.
Heikle Kombinationspartner: Milch, Alkohol und Kaffee
Ein Medikament hat auf seiner Reise zum Dünndarm mehrere Herausforderungen zu bewältigen, wie Professor Uwe Fuhr, Professor für Klinische Pharmakologie im Institut für Pharmakologie der Universität zu Köln erklärt: Der Wirkstoff sollte wasserlöslich sein – und darf nicht im Säurebad der Magensäfte zerstört werden. Ist das Medikament allerdings zu wasserlöslich und nur schwer fettlöslich, dann hat es das Problem, dass es die Fettschicht der Dünndarmwand nur schwer überwinden kann, um ins Blut zu gelangen. Der Effekt: eine langsame und unvollständige Aufnahme in den Blutkreislauf und damit eine verzögerte Wirkung.
Dieser Punkt kommt auch bei der gleichzeitigen Einnahme von manchen Antibiotika und Milch zum Tragen. So geht das Antibiotikum Doxycyclin mit dem Kalzium von Milch, Joghurt, Käse oder Quark eine chemische Bindung ein – und bildet eine Art Klumpen. “Dieser Komplex ist dann zu groß oder nicht fettlöslich genug, um durch die Dünndarmwand zu wandern”, erläutert Cascorbi. So bleiben die Antibiotika im Darm zurück und werden ungenutzt ausgeschieden. Ähnlich ungünstig klumpen sich auch bestimmte Osteoporose-Medikamente (Bisphosphonate) mit dem Kalzium von Milchprodukten im Magen zusammen. Obwohl Kalzium gut für den Knochenaufbau bei Osteoporose ist, sollten Bisphosphonate deshalb keinesfalls mit Milch heruntergespült werden. Wasser mit hohem Mineralanteil ist ebenfalls ungeeignet. “Am besten ist noch immer kalziumarmes, weiches Leitungswasser”, rät Cascorbi.
Auch Kaffee verträgt sich mit vielen Medikamenten nicht. Wer zum Beispiel Eisentabletten mit dem Morgenkaffee zu sich nimmt, muss damit rechnen, dass sie kaum wirken. Denn die Gerbstoffe aus Kaffee oder auch Tee bilden ebenfalls große Komplexe mit manchen Wirkstoffen im Magen, die nur schwer löslich sind und deshalb schlecht in den Blutkreislauf aufgenommen werden. Neuroleptika, die bei Psychosen verschrieben werden, wirken mit schwarzem Tee schlechter. “Außerdem ist natürlich bei Alkohol generell Vorsicht geboten, wenn Medikamente eingenommen werden”, sagt Professor Roland Radziwill, Leiter der Krankenhausapotheke des Klinikums Fulda. Nimmt man etwa Schlaf- und Beruhigungsmittel, Antidepressiva oder Antipsychotika, dann verstärkt Alkohol die dämpfende Wirkung. Ein massiver Durchhänger und Fahruntüchtigkeit drohen. In anderen Fällen sind sogar Vergiftungen durch Alkohol möglich, wenn er zusammen mit bestimmten Medikamenten getrunken wird. “Nimmt man etwa das häufig genutzte Schmerzmittel Paracetamol mit Hochprozentigem ein, kann dadurch die Leber Schaden nehmen”, sagt Radziwill.
Mögliche Wechselwirkungen sind vielfältig
Andere Nahrungsmittel können die Wirkung von Medikamenten auf eine ungesunde Art und Weise verstärken: “Grapefruitsaft kann zum Beispiel den Abbau von Medikamenten hemmen”, erklärt Pharmakologe Fuhr. Dann sammeln sich größere Mengen des Medikaments im Körper und die Wirkung kann sich um ein Vielfaches verstärken. Bei bestimmten Blutdruckmitteln könne dadurch sogar der Kreislauf zusammenbrechen. Schon ein Glas Grapefruitsaft pro Tag könne für Menschen gefährlich sein, die etwa nach einer Nierentransplantation Medikamente zur Unterdrückung der Immunfunktionen nehmen, ergänzt Cascorbi. Wirkstoffe wie Ciclosporin und Tacrolimus könnten in zu hohen Konzentrationen die Niere schädigen. Auch Lipidsenker gegen erhöhte Blutfettwerte wie Simvatatin oder Atorvastatin vertragen sich nicht mit Grapefruitsaft.
Käse, Wein und Avocados können ebenfalls zum Risiko mutieren: Hier ist Vorsicht bei bestimmten sogenannten MAO-Hemmern (nichtselektive Monoaminoxidase-Hemmer) geboten, die etwa bei der Parkinsonkrankheit oder bei Depressionen eingesetzt werden, wie Cascorbi sagt. In Kombination mit der Substanz Tyramin – enthalten in Wein, Käse oder Avocados – könne es zu einem gefährlich hohen Blutdruck kommen. Der Grund: Tyramin gelangt in Verbindung mit einem MAO-Präparat in den Blutkreislauf und hemmt den Abbau von Botenstoffen im Gehirn, die an der Regulation des Blutdrucks beteiligt sind.
Stoffe in Nahrungsmitteln können sogar so wirksam sein, dass sie gezielt zur Beeinflussung von Medikamenten genutzt werden: Vitamin K, das sich in Brokkoli, Spinat und Rosenkohl befindet, wird in der Medizin als Gegenmittel zu bestimmten Blutverdünnern eingesetzt. Als Arzneimittel sorgt Vitamin K dann dafür, dass bei einer Überdosierung der Gerinnungshemmer das Blut wieder gerinnen kann. Ob jedoch ein unerwünschter Effekt bei der Einnahme großer Mengen von Vitamin-K-haltigen Lebensmittel zu erwarten ist, so dass auch die therapeutische Wirkung der Blutverdünner abgeschwächt wird, ist unter den Experten umstritten.
Pharmazie-Professor Radziwill rät grundsätzlich zur Vorsicht: “Auf jeden Fall lohnt sich immer der Blick auf den Beipackzettel, auf dem auch die Wechselwirkungen mit Lebensmittel – soweit bekannt – stehen. Wenn Sie darüber hinaus merken, dass ein Medikament entweder zu stark oder zu schwach wirkt, fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.” Vertragen sich Lieblingsnahrungsmittel nicht mit einer Arznei, dann sollte man den Arzt nach einem anderen Präparat fragen. “Das Medikament nicht einfach weglassen, denn es gibt oft eine Alternative”, sagt Radziwill.
Autor: Susanne Rytina dapd