Stress ist Teil unseres Lebens. An sich sei das nichts Schlechtes, weil Stress uns zu Leistungen ansporne, sagt Professor Michael Deuschle, Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit. Doch was genau unterscheidet normalen Stress von chronischem Stress?
Doch Dauerstress ist eine Belastung für Körper und Psyche.” Es drohen Herz-Kreislauf-Störungen, Diabetes, Depressionen und andere Krankheiten.
Bei einer normalen Stressreaktion, etwa kurz vor einer Prüfung oder bei der Vollbremsung an einer roten Ampel, werde der Körper über die Ausschüttung von Stresshormonen in Alarmbereitschaft versetzt. “Er wird dann verstärkt mit Sauerstoff und Zucker, also purer Energie, versorgt”, erklärt Deuschle. Neben dem Adrenalin werde in der Nebennierenrinde ein anderer wichtiger Spieler im Hormonkonzert gebildet, das Stresshormon Kortisol. Doch genau dieses könne bei chronischem Stress fehlreguliert sein und das wirke sich dann auf den gesamten Organismus aus, erklärt Professor Hartmut Schächinger vom Forschungsinstitut für Psychobiologie der Universität Trier. “Kortisol ist deshalb als Hormon so wichtig, weil es nahezu an jede Zelle andocken und diese beeinflussen kann.”
So sorgt Kortisol bei nicht-chronischem, akutem Stress etwa in einer gefährlichen oder belastenden Situation dafür, dass der Blutzuckerspiegel im Körper nicht zu schnell absinkt und der Körper so in stressigen Situationen ausreichend mit Energie versorgt ist. Kortisol ist damit ein Gegenspieler des Insulins, das den Blutzuckerspiegel senkt. “Bei chronischem Stress kann Kortisol jedoch zu einem viel zu hohen Blutzuckerspiegel führen”, erklärt Deuschle. Der Grund: Kortisol will die Energie und das Fett verfügbar halten, fördert aber auch die Einlagerung von Fett im Bauchraum. Dieses Bauchfett stört dann – im Gegensatz zu Hautfettpolstern an Oberschenkel oder Po – langfristig die Insulinwirkung.
Die Kombination aus erhöhtem Taillenumfang, erhöhtem Blutzucker, hohem Blutdruck und gestörtem Fettstoffwechsel werde auch Metabolisches Syndrom genannt. “Menschen, die dazu neigen, sollten vor allem auf eine gesunde Ernährung und viel Bewegung achten”, rät der Stoffwechselexperte. Ziel sollte es sein, das Gewicht und den Bauchumfang zu reduzieren, um Diabetes zu verhindern. Vor allem aber sollten Dauerstress oder negativer Stress vermieden werden und sich Ruhe- und Aktivitätsphasen abwechseln, rät Deuschle.
Doch Kortisol erhöht nicht nur den Blutzuckerspiegel, auch das Herz-Kreislauf-System wird angekurbelt: “Die Herzkraft wird gesteigert und auch der periphere Widerstand, also die Wandspannung an den Schlagadern und Venen. Dadurch steigt der Blutdruck”, erklärt Deuschle. Ist der Blutdruck jedoch bei Dauerstress langfristig erhöht, so können sich die Blutgefäße verhärten und brüchig werden. Fettmoleküle lagern sich dann leicht als Plaque an. Folge: Die Gefäße verstopfen. “Wenn Blut und Sauerstoff nicht mehr durchkommen, steigt das Herzinfarkt-Risiko”, sagt der Mediziner.
Erschwerend komme hinzu, dass bei akutem Stress der Herzschlag «zu regelmäßig» und damit starr werde. Gerade wenn die Flexibilität der Herzfrequenz fehlt, kann das Herz aus dem Takt geraten. “Wenn man sich jedoch nach einer Stresssituation wieder entspannen kann, schlägt auch das Herz wieder ruhiger, das Blut strömt wieder langsamer durch die Adern.” Deshalb sollte jeder, der oft Stress hat, auf Entspannung achten, so ließen sich Herz-Kreislauf-Erkrankungen vermeiden, sagt Deuschle.
Chronischer Stress wirke sich zudem negativ auf Emotionen und das Gedächtnis aus, sagt der Stressforscher Professor Hartmut Schächinger von der Universität Trier. Man weiß etwa, dass Menschen mit zu hohen Kortisolspiegeln auch ein erhöhtes Risiko haben, an Depressionen zu erkranken. Negative Gedanken gehen mit Stress einher, erklärt der Psychiater Deuschle. “Vor allem im Stress neigen wir zum Schwarz-Weiß-Denken, zum Grübeln und zum schlechten Schlaf.” Dabei sei ein erholsamer Schlaf wichtig für die Gesundheit. “Wenn man nicht mehr entspannen kann, sollte man Hilfe suchen und zum Arzt gehen”, rät der Fachmann. Vor allem sei es wichtig, Warnsignale und innere Erregung wahrzunehmen, viele Patienten ignorierten diese Symptome. “Einfache medikamentöse Konzepte gegen einen zu hohen oder zu niedrigen Kortisolspiegel gibt es nicht”, betont Schächinger. “Dazu sind die hormonellen Mechanismen viel zu kompliziert.” Empfehlenswert seien etwa Stressbewältigungsseminare.
Manche Labors werben mit einem Kortisol-Speicheltest für den Privatgebrauch, den der Patient zu Hause machen kann, um seinen Stresspegel zu testen. Doch damit könne man keine Aussagen über akute oder chronische Stressbelastung machen, sagt Deuschle. Speicheltests seien lediglich Instrumente in der experimentellen Forschung, man verwende sie nicht im klinischen Bereich. Denn die Kortisol-Konzentration schwanke den ganzen Tag über, frühmorgens sei sie oft hoch, am Mittag eher niedrig. Bei akutem Stress komme es zum Anstieg des Kortisolspiegels, während bei chronischem Dauerstress ein Abfall der Kortisolmenge möglich sei. Um wissenschaftlich aussagekräftige Daten zu bekommen, bedarf es häufiger Verlaufsmessungen und sogenannter Tagesprofile, in Verbindung mit anderen medizinischen und psychologischen Daten vom Patienten.
Autor: Quelle: ddp-Korrespo Susanne Rytina