Wer mit einem Boot die Koningin-Emma-Brücke passieren will, muss erst einmal warten. Nachdem der Brückenwärter den Motor angeworfen hat, bewegt sich langsam das eine Ende der Ponton-Brücke zum anderen Ufer der Sint-Anna-Baai im Herzen von Willemstad. Erst dann kann das Boot an der Zeile historischer, schmaler Stadthäuser vorbeifahren.
Fast könnte man glauben, man sei in Amsterdam, wären die Häuser nicht in allen Farben des Regenbogens gestrichen, leuchtete die Bucht nicht in tiefem Türkis. Denn Willemstad ist die Hauptstadt von Curacao, der größten der Niederländischen Antillen. Abgesehen von der Architektur, den Brücken und Bierwerbeschildern ist Willemstad allerdings weniger typisch niederländisch als vielmehr die Hauptstadt eines wahren Tropenparadieses.
Da wäre zunächst das Meer. «Seht euch dieses Blau an», ruft der Schnorchellehrer auf Klein-Curacao, «so etwas gibt es in Holland nicht!» Die unbewohnte Mini-Insel südöstlich von Curacao hat neben einem verlassenen Leuchtturm, verfallenen Fischerhütten und einem gestrandeten Schiffswrack auch den längsten Strand Curacaos zu bieten. Den Einwurf, in Holland gebe es doch auch Meer, wiegelt der Schnorchellehrer, selbst Holländer, mit fröhlichem Lachen ab: «Die Nordsee ist doch nicht dasselbe! Wenn ich nur daran denke, werde ich depressiv.» Da können ihm seine ausschließlich holländischen Kunden nur zustimmen: Wer konnte denn in der Nordsee schon einmal Korallen, kunterbunte Fische, gar Meeresschildkröten zum Anfassen nah bewundern und sich anschließend mit Blick aufs türkisfarbene Wasser bei 32 Grad unter den Sonnenschirm legen?
35 Sandstrände an der Südküste
Es sind vor allem die weißen Strände, die Jahr für Jahr Hunderttausende von Touristen, ein Drittel davon Niederländer, nach Curacao locken: 35 Sandstrände reihen sich an den nur 60 Kilometern der südlichen Küste aneinander. Wer an ihnen aktiver sein will als die in der Karibiksonne brutzelnden Massen, hat die Wahl zwischen Wasser und Land, kann entweder einige der beliebtesten Tauchreviere der Region entdecken oder sich aufs Fahrrad schwingen.
Das von den Holländern so geliebte «Fiets» nutzt hier allerdings so gut wie niemand als reines Fortbewegungsmittel. Wer radelt, der tut es sportlich, so wie Mirjam «Mick» Boers, die am Zanzibar-Strand Mountainbike-Touren leitet. Die Niederländerin muss ihre Landsleute erst einmal warnen, dass die Autofahrer nicht auf radelnde Touristen vorbereitet sein werden, bevor die Tour losgeht: entlang der mit Segeljachten übersäten Jan-Thiel-Baai, über schmale Pfade durch das mit stacheligen Kakteen gespickte Hinterland. Eins hat Curacao mit Holland gemein: «Es gibt hier keine Berge», sagt Mick. «Aber die Hitze macht es ganz schön anstrengend.» Nach einer dreistündigen Tour an einem glühend heißen Morgen weiß man, was sie meint.
Doch es gibt einen bergigeren Teil Curacaos: den Nordwesten, der zum größten Teil Gebiet des Christoffel-Nationalparks ist. Hier liegt der Christoffelberg, mit 377 Metern höher als jeder Punkt der Niederlande. Sportlich Ambitionierte können hier auf gut erschlossenen Pfaden biken und wandern, sogar bis auf den Gipfel. Wer es lieber ruhig angehen lässt, kutschiert im Geländewagen über das ehemalige Plantagengelände rund um den Christoffelberg, um bequem Kakteen und Divi-Divi-Bäume, Orchideen und Bromelien zu bewundern. An den Acerola-Bäumen hält Ranger Wotty immer wieder den Wagen an, um Kirschen für seine Fahrgäste zu pflücken – eine seltene Gelegenheit. «Sie bleiben nur drei Tage reif am Baum und wachsen nur, wenn es gerade geregnet hat», erklärt Wotty. Das war im vergangenen Jahr kaum der Fall.
Exotische Delikatessen aus den Garküchen
Gewöhnungsbedürftiger als die süßsaure Acerolafrucht sind andere Delikatessen der Insel: «Iguana-Soup, sehr lecker», versucht Jaanchie in seinem gleichnamigen Restaurant nahe dem Nationalpark zögernde Touristen zu überzeugen. Doch man muss sich nicht auf die in Brühe schwimmenden Leguanknochen einlassen, um echte Curacao-Küche zu erleben. Die vielleicht beste Möglichkeit bietet der Marche Bieu, eine ehemalige Markthalle in Willemstad. In mehreren Garküchen bereiten hier Frauen in bunten Schürzen zum Beispiel Kabritu Stoba zu, also geschmortes Ziegenfleisch, die schleimige Okra-Suppe Guiambo oder die Kaktus-Suppe Kaduschi.
Die Namen der Gerichte verraten es: Auch wenn Curacao Teil der Niederlande ist, wird hier in erster Linie nicht niederländisch gesprochen. Die Sprache der Einheimischen, die Wurzeln in 50 verschiedenen Nationen haben, ist Papiamentu. Es erinnert vor allem an Portugiesisch und Spanisch, weist aber auch niederländische, englische und afrikanische Einflüsse auf. Früher, erzählt Chernov Rozier vom Curacao Tourist Board während des Essens im Marche Bieu, sei es den Kindern in der Schule verboten gewesen, Papiamentu zu sprechen. Heute gibt es kaum ein Schild, das nicht auf Papiamentu beschriftet ist.
«Bon bini!», «Willkommen!», heißt es auf Curacaos Autonummernschildern: Das ist die karibische Version des niederländischen «Welkom!» – ganz anders, aber genau so herzlich.
Autor: ddp