Das CityNEWS Experten-Interview zum Thema: Burn-out

'Die Entstehung von Burn-out ist, wie bei vielen anderen Erkrankungen, multifaktoriell zu sehen und wird nicht nur durch einen Risikofaktor ausgelöst', so Anja Kluth. / copyright: djd/ Ergo Direkt Versicherung
‘Die Entstehung von Burn-out ist, wie bei vielen anderen Erkrankungen, multifaktoriell zu sehen und wird nicht nur durch einen Risikofaktor ausgelöst’, so Anja Kluth.
copyright: djd/ Ergo Direkt Versicherung

CityNEWS im Interview mit den Experten Anja Kluth (Diplom-Psychologin und Verhaltenstherapeutin) aus Hamburg und mit Gerd Koschik (Leiter Personal- und Sozialwesen) aus Langenfeld bei der Ara-Gruppe mit weltweit 6.800 Mitarbeitern zum Thema Burn-out.

Hetze, Hektik, Leistungsdruck – Arbeitnehmer stehen häufig unter Dauerstress. Zwar ist die körperliche Belastung in der Regel heute geringer als in früheren Zeiten. Dafür hat der psychische Stress enorm zugenommen. So droht das Burn-out-Syndrom schon fast zur Volkskrankheit zu werden. Die typischen Symptome sind Müdigkeit und Abgeschlagenheit. Und wenn es auf der Arbeit zu viel Stress gibt, leidet darunter zwangsläufig auch das Privatleben. Hier gibt es antworten von unseren Experten zu dem Thema!

  • Wann kann man von einem Burn-out-Syndrom sprechen?

Anja Kluth: Burn-out ist kein schneller, sondern ein langsamer, andauernder Prozess, der in der Regel aus einer Fehlanpassung aus eigenen Intentionen und der Berufsrealität entspringt. Der Zustand ist im Laufe dieses Prozesses in erster Linie von Erschöpfung gekennzeichnet, begleitet von Unruhe und Anspannung, einem Gefühl verringerter Effektivität, gesunkener Motivation und der Entwicklung dysfunktionaler Einstellungen und Verhaltensweisen bei der Arbeit. Diese psychische Verfassung entwickelt sich nach und nach, kann lange sogar unbemerkt verlaufen und erhält sich wegen ungünstiger Bewältigungsstrategien oft selbst aufrecht.

  • Werden Burn-out-Symptome von den Betroffenen rechtzeitig erkannt?

Anja Kluth: Zunächst erlebt man sich als unentbehrlich, arbeitet freiwillig mehr, verdrängt eigene Bedürfnisse, kann schlechter abschalten, wird erschöpfter. Langsam reduziert sich das Engagement – die Empathie für andere nimmt ab und mündet eventuell sogar in Zynismus, die Lust an der Arbeit geht verloren. Dann werden emotionale Reaktionen, vor allem Depression und Aggression, lauter, gefolgt von einem Abbau der kognitiven Leistungsfähigkeit, der Motivation und Kreativität. Oft begleitet durch eine Vielzahl unterschiedlicher psychosomatischer Reaktionen führt der Burn-out-Prozess schließlich durch ein Gefühl wachsender Hilflosigkeit und Perspektivlosigkeit langsam zu Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Da der ganze Prozess schleichend verläuft, ist er für Betroffene oft nicht rechtzeitig als Krankheit erkennbar.

  • Wie viele Arbeitnehmer sind hierzulande von Burn-out betroffen?

Anja Kluth: Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) führte 2007 eine repräsentative Umfrage durch und errechnete eine Burn-out-Quote von 10,5 Prozent der Bevölkerung. Allerdings sind die Unterschiede in der Krankheitshäufigkeit je nach Berufsgruppe unterschiedlich hoch. Burn-out ist ein schleichender Prozess, der in seinem Erscheinungsbild entsprechend der jeweiligen Phase sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann und so auch in Erhebungen zu unterschiedlichen Antworten führt. Eine aktuelle, exakte Erhebung aus einer gemischten repräsentativen Stichprobe Erwerbstätiger gibt es derzeit nicht.

  • Durch welche Faktoren wird die Entstehung von Burn-out begünstigt?

Anja Kluth: Die Entstehung von Burn-out ist, wie bei vielen anderen Erkrankungen, multifaktoriell zu sehen und wird nicht nur durch einen Risikofaktor ausgelöst. Im Vordergrund stehen sicher der wachsende Arbeitsdruck bei unveränderten Arbeitsstrukturen und Arbeitsorganisation; Multitasking, andauernde mediale Belastung, Globalisierung, extrem hohe eigene Leistungserwartungen in häufig sehr verantwortlicher Position, um nur einige Dinge zu nennen, die schleichend in eine Überforderungsfalle führen können. Frauen stehen zudem oft in der Doppelbelastung von Arbeit und Familie. Daneben gibt es natürlich auch innere Faktoren, die eine Rolle spielen, wie etwa die eigene Konstitution, das Fehlen von Ressourcen und soziale Kompetenzen, die je nach Ausprägung einem Burn-out entgegenstehen können. Ganz wichtig erscheint auch das soziale – also berufliche und private – Umfeld, welches bei hohem Arbeitspensum oft vernachlässigt wird und dann nicht mehr ausreichend stützend zur Seite steht, wenn es gebraucht wird.

  • Was passiert in einer Therapie gegen das Burn-out-Syndrom?

Anja Kluth: Zu Beginn steht eine genaue Diagnostik und Einordnung des aktuellen Schweregrades – je nachdem kann eine medikamentöse Mitbehandlung oder sogar der Aufenthalt in einer Fachklinik nötig sein. In anderen Fällen mag eine ambulante Psychotherapie oder ein Coaching ausreichen, um dysfunktionale “Teufelskreisläufe” zu erkennen und zu durchbrechen. Das wichtigste Ziel einer Therapie bei Burn-out ist prinzipiell, sich selbst wieder zu aktivieren, durch Selbstachtsamkeit eigene Ressourcen (wieder) zu entdecken, wieder selbstbestimmt handeln und Veränderungen bewirken zu können, um daraus neue Kraft und Motivation zu schöpfen. Therapie ist insofern Hilfe zur Selbsthilfe – nach einer genauen Analyse der individuellen Bedingungen für das “Ausbrennen” sollen bestimmte Strategien gelernt und später selbständig umgesetzt werden.

  • Welche Faktoren machen Mitarbeiter am häufigsten krank?

Gerd Koschik: Zum einen sind dies leistungsbedingte Faktoren wie Über- oder Unterforderung sowie zu ehrgeizige Vorgaben durch den Betrieb. Daneben können zwischenmenschliche Probleme mit Vorgesetzten oder Kollegen einzelne Mitarbeiter zermürben. Und schließlich sind unter Umständen auch private Probleme dafür verantwortlich, dass Arbeitnehmer ihren Job nicht mehr ausüben können.

  • Und was können Unternehmen tun, um psychosomatische Erkrankungen ihrer Mitarbeiter von vornherein möglichst zu verhindern?

Gerd Koschik: Am wichtigsten ist die Schaffung und Erhaltung eines positiven Betriebsklimas, die Mitarbeiter sollten in Gesprächen ein Feedback zu ihrer Leistung und zu ihrem Verhalten bekommen. Wenn es geht, sollten in diesem positiven Arbeitsumfeld alters-, leistungs- und wo nötig auch leidensgerechte Arbeitsplätze geschaffen werden. Wünschenswert sind daneben regelmäßige Weiterbildungsmaßnahmen in allen Abteilungen, aufgeteilt in leistungs- und verhaltensbezogene Schulungen. Und schließlich sollten sich die Mitarbeiter an Entscheidungsprozessen, etwa bei der Installation neuer Software, beteiligen dürfen. Zu den so genannten soft skills kann darüber hinaus die Schaffung und Einhaltung von Ethik-Richtlinien gehören.

  • Wo liegen die Unterschiede beim Gesundheitsmanagement zwischen kleinen Firmen und größeren Konzernen wie der Ara-Gruppe?

Gerd Koschik: In größeren Unternehmen ist eine bessere und intensivere Betreuung der Mitarbeiter durch Spezialisten wie etwa Werksärzte oder die Behandlung in externen Werksarztzentren möglich. Zudem können Arbeitnehmer beim Auftreten von Problemen in größeren Konzernen leichter intern oder extern versetzt und somit entlastet werden.

  • Nehmen Sie in Ihrer Unternehmensgruppe auch Einfluss auf eine gesunde Ernährung der Mitarbeiter bzw. geben Sie Anreize zu sportlicher Betätigung?

Gerd Koschik: Ja, wir führen Ernährungsberatungen und -seminare durch. Zudem werden unsere Kantinenmitarbeiter geschult, damit sie “gesunde” Speisen unter Einsatz gesunder Rohware herstellen können. Das Angebot wurde entsprechend um frisches Obst, Gemüse, und Salate erweitert. Unsere Mitarbeiter können sich aktiv am Betriebssport beteiligen und werden zudem zur Nutzung von Sport- und Gesundheitsseminaren der Krankenkassen und Weiterbildungsträger animiert.

  • Ältere Arbeitnehmer, die in ihrem Job überfordert sind, haben Angst vor Veränderungen, weil sie fürchten, keine neue Stelle zu finden. Was raten Sie diesen Beschäftigten bzw. wie gehen Sie damit als Arbeitgeber um?

Gerd Koschik: Wir beraten gemeins
am mit dem Betriebsrat und den jeweiligen Vorgesetzten, ob wir diese Mitarbeiter im Bedarfsfall auf gleichwertige andere Arbeitsplätze versetzen können. Prinzipiell bemühen wir uns aber von vornherein um die Schaffung von altersgerechten und leistungsangepassten Arbeitsplätzen.

Autor: Redaktion / HKI