Chef der Bundesagentur für Arbeit Frank-Jürgen Weise

Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit: Dr. rer. pol. h. c. Frank- J. Weise / copyright: Bundesagentur für Arbeit
Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit: Dr. rer. pol. h. c. Frank- J. Weise
copyright: Bundesagentur für Arbeit

Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit im Gespräch über die Schummelvorwürfe bei den Statistiken über Arbeitslose. Lesen Sie hier das komplette Interview zur Arbeitsmarktlage.

Herr Weise, viele Unternehmen streichen Stellen, jetzt zum Beispiel RWE oder Schlecker. Kommt doch noch die Krise auf dem Arbeitsmarkt an?

Weise: Diese Unternehmen streichen Stellen, weil sie ihre eigene Organisation straffen oder sich ihr Marktumfeld verändert hat. Bei Schlecker etwa gab es Management-Fehler, RWE war nicht auf eine Energiewende vorbereitet. Ich verstehe, dass Stellenkürzungen bei namhaften Unternehmen für Ängste bei den Bürgern sorgen, weil jeder die großen Firmen kennt. Aber es ist kein Zeichen für eine Krise, wenn auch Branchenriesen ins Wanken geraten.

Trotzdem gehen gut bezahlte Vollzeit-Arbeitsplätze verloren, dafür nehmen Teilzeitjobs und Arbeit im Niedriglohnsektor zu…

Weise: Das trifft nur einen Teil der Wahrheit. Die Nachfrage nach Akademikern ist in den letzten Jahren um rund 30 Prozent angestiegen, die nach ungelernten Arbeitern um gut 25 Prozent gesunken. Und es werden seit Ende der Wirtschaftskrise zunehmend auch Vollzeitstellen geschaffen. Aber es stimmt, es gibt im Vergleich zur Welt vor zehn Jahren mehr Teilzeit, mehr Zeitarbeit, mehr befristete Beschäftigung. Wenn Menschen auf diese Weise eine Arbeit finden, die vorher keine Chance gehabt hätten, dann finde ich das positiv.

Aber viele solcher Menschen, beispielsweise in der Zeitarbeit, brauchen zusätzlich zu ihrem Vollzeitjob ergänzendes Arbeitslosengeld II, müssen also Hartz-IV beantragen.

Weise: Das ist wahr. Dieses so genannte Aufstocken ist nur dann sinnvoll, wenn der niedrig bezahlte Job der Einstieg in den Arbeitsmarkt ist und schon bald durch eine existenzsichernde Beschäftigung abgelöst wird. Wenn jemand trotz Vollzeitjob ergänzend Arbeitslosengeld II dauerhaft in Anspruch nehmen muss, ist das problematisch. Eine Arbeit sollte so bezahlt sein, dass man davon leben kann. Ausnahme sind Menschen, deren Leistungsfähigkeit so gering ist, dass ein Arbeitgeber keinen vollen Lohn zahlen kann.

Wie viele Menschen sind denn eigentlich arbeitslos, tauchen aber in der Statistik nicht auf?

Weise: Rund eine Million. Das ist erklärungsbedürftig: Es ist gesetzlich definiert, wer als arbeitslos gezählt wird. Die Kriterien lauten: Ein Mensch hat keine Arbeit, ist bei der Arbeitsagentur gemeldet und er muss dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Wenn nun jemand keinen Job hat, aber zum Beispiel eine von uns organisierte Qualifizierungsmaßnahme absolviert, steht er in dieser Zeit dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Daher wird er für die Dauer der Fortbildung nicht als arbeitslos gezählt.

Das klingt für den Bürger nach Schummelei…

Weise: Nein, wir veröffentlichen die Zahlen zur so genannten Unterbeschäftigung jeden Monat – zusammen mit der statistischen Arbeitslosigkeit. Es gibt völlige Transparenz. Die statistische Arbeitslosigkeit hat sich aber über Jahrzehnte in den Medien und damit in der Wahrnehmung der Bürger als wichtiger Indikator für den Zustand der Wirtschaft etabliert. Ich habe aber immer betont, dass mein Auftrag über die rein statistische Zahl hinausgeht.

Wir sind also von Vollbeschäftigung noch weit entfernt?

Weise: Ich war trotz der insgesamt guten Entwicklung der letzten Jahre auf dem Arbeitsmarkt mit dem Begriff Vollbeschäftigung immer vorsichtig und habe vor Euphorie gewarnt. Es wird immer ein gewisses Maß an Arbeitslosigkeit geben, allein weil Arbeitslose und offene Stellen nicht immer zusammenpassen. Und es wird immer Menschen geben, für die wegen einer geringen Qualifikation keine Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt besteht. Dennoch haben wir einige Regionen in Deutschland, da gibt es Vollbeschäftigung schon heute, zum Beispiel in Ingolstadt. Ich sehe aber auch das Gegenteil, nämlich Gegenden mit deutlich über zehn Prozent Arbeitslosigkeit. Das Bild ist also nicht einheitlich.

Die Bundesagentur gilt inzwischen als Beispiel für andere Länder – helfen Sie jetzt in Europa mit Ihrem Modell?

Weise: Wir haben traditionell viele gute Kontakte in Europa, auch zu anderen Nationen. Aber wir geben nicht ungefragt unseren Rat. Jedes Land muss ein Modell finden, das zu der eigenen Kultur und Geschichte und natürlich zum Arbeitsmarkt passt. Wenn sich aber eine Regierung für ein Modell von uns besonders interessiert, sind wir immer bereit zu unterstützen. Einige unserer Ansätze sind sicher auf andere Länder übertragbar, etwa das Gebot von Wirkung und Wirtschaftlichkeit oder der Leistungsvergleich der operativen Einheiten, der die Schwächen zu Tage bringt.

Autor: Redaktion/ Bundesagentur für Arbeit