Der Chef der Bundesagentur für Arbeit Frank-Jürgen Weise im Interview zur aktuellen Arbeitsmarkt-Situation

Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit: Dr. rer. pol. h. c. Frank- J. Weise im Interview. / copyright: Bundesagentur für Arbeit
Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit: Dr. rer. pol. h. c. Frank- J. Weise im Interview.
copyright: Bundesagentur für Arbeit

BA-Chef Frank-Jürgen Weise über die Situation der über 50-Jährigen im Arbeitsmarkt. Unternehmen müssen Ältere halten und pflegen, so die Aussage. Lesen Sie hier bei CityNEWS das komplette Interview.

Wo steht Deutschland bei der Integration Älterer in den Arbeitsprozess im europäischen Vergleich?

Frank-Jürgen Weise: Deutschland liegt nicht schlecht. 2010 waren 56,2 Prozent der 55 – 64jährigen erwerbstätig. Nur Schweden und Großbritannien lagen besser. Der Durchschnitt der EU lag nur bei 46 Prozent. Die Arbeitslosigkeit Älterer ist insgesamt in den vergangenen Jahren gesunken.

Sind heute mehr ältere Arbeitnehmer noch im Job, seitdem Altersteilzeit – und Frühverrentungs- Möglichkeiten nicht mehr angeboten werden.

Weise: Ja. Die Statistik sagt zwar nein – nach unseren Zahlen ist die Arbeitslosigkeit Älterer in den vergangenen Monaten leicht gestiegen – aber dahinter verbergen sich statistische Sondereffekte. Schaut man hinter die Zahlen, steigt die Beschäftigung Älterer an.

Könnten noch mehr ältere Arbeitnehmer in Lohn und Brot sein, wenn es auf dem Arbeitsmarkt mehr Angebote, die auf sie zugeschnitten sind, gäbe?

Weise: Ja. Gerade dort, wo es schon jetzt Engpässe bei Fachkräften gibt, könnten Angebote für Ältere helfen. Aber es gilt: Nur Firmen, die sowieso einen hohen Bedarf an Arbeitskräften haben, werden sich um spezielle Arbeitsplätze für Ältere bemühen,
um sie zu gewinnen. Der Wiedereintritt ins Berufsleben für Ältere ist bei uns derzeit noch schwierig.

Und wie wird die Situation in Zukunft sein?

Weise: Sie wird besser werden. Der Fachkräftemangel macht es zwingend erforderlich, dass Unternehmen die Älteren gewinnen und im Unternehmen halten. In skandinavischen Ländern ist die Teilnahme der Älteren am Arbeitsprozess höher, als bei uns.

Woran liegt das?

Weise: Es gibt drei Gründe: Die Arbeit Älterer ist gesellschaftlich anerkannt und normal. Es gab keine Anreize zur Frühverrentung und das Gesamtangebot an Arbeitskräften ist niedrig, sodass die Älteren gebraucht werden.

In Schweden arbeiten noch 72,5% der 55- bis 64-Jährigen, in Dänemark 63,1% und in Finnland 54,1%.  Wie ist die Prozentzahl bei uns?

Weise: In Deutschland lagen wir im Jahr 2010 bei 56,2 Prozent.

Die meisten OECD-Länder haben in den vergangenen Jahren die Beteiligung Älterer am Arbeitsprozess gesteigert, etwa Großbritannien mit einer Steigerung von 51,4 auf 57,3% und Frankreich (von 31,4 auf 38,3%). Haben auch wir die Beteiligung steigern können?

Weise: Ja, und zwar deutlich. 2009 waren rund 5,5 Millionen Menschen in Deutschland beschäftigt, die zwischen 55 und 65 Jahre alt waren. Das waren 1,15 Millionen oder 25,5 Prozent mehr als 1999. Die Teilnahme am Erwerbsleben wächst bei Älteren stärker als in der Gesamtbevölkerung.

Ältere Arbeitnehmer klagten in den letzten Jahren, dass es an ihrem Arbeitsplatz Diskriminierung aus Altersgründen gebe. Ihnen werde vermittelt, dass sie der Jugend gegenüber unfair seien, wenn sie ihren Arbeitsplatz nicht räumen. Gilt das noch in den Betrieben?

Weise: Nein, das ist vor dem Hintergrund der Bevölkerungsentwicklung eine überkommene Sicht. Ältere werden nicht nur wegen ihrer Arbeitskraft gebraucht,  sondern auch wegen ihrer Erfahrung.

Experten sagen, dass sich durch die Kombination von jungen und älteren Arbeitskräften sich die Produktivität der Unternehmen deutlich steigern lässt. Müssen viele Betriebe diesbezüglich noch umdenken?

Weise: Die großen Unternehmen haben das verstanden und handeln bereits entsprechend. In kleinen und mittleren Unternehmen muss dieses Verständnis teilweise noch wachsen. Hier spielen diffuse Ängste vor hohen Gehaltsvorstellungen von Älteren, vor hohen Kündigungshürden oder auch vor einer vermeintlich höheren
Krankheitsanfälligkeit eine Rolle. Da bedarf es der Aufklärung.

In Schweden werden ältere Arbeitnehmer beim lebenslangen Lernen auch im Betrieb, von Weiterbildungsmaßnahmen nicht ausgeschlossen. Wie ist die Situation in Deutschland?

Weise: Unterschiedlich. Deutschland ist allgemein bei der Weiterbildung im europäischen Vergleich im hinteren Drittel. Wir wissen von Betrieben, die ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tatsächlich von Weiterbildungsmaßnahmen ausschließen. Das ist sehr kurzsichtig. Wir hören aber ebenso, dass das Thema
lebenslanges Lernen immer ernster genommen wird.

Wie wird die Arbeitssituation der heute 40-Jährigen in 20 Jahren sein?

Weise: Sie werden sehr gefragt sein, sofern sie einen qualifizierten Beruf ausüben und erlernt haben. Im Jahr 2030 wird Frühverrentung kein Thema mehr sein. Aber: Das gilt nur für Fachkräfte. Ungelernte und schlecht qualifizierte Arbeitskräfte werden weit weniger von der demographischen Entwicklung profitieren.

Autor: Redaktion/ Bundesagentur für Arbeit