Trauerfeier zum Einsturz des Kölner Stadtarchivs – OB Roters fordert Rücktritt von KVB-Vorstand

Teilnehmer der Gedenkveranstaltung zum Jahrestag des Einsturzes des Kölner Stadtarchivs stehen vor dem Mahnmal 'Die trauernden Eltern'. Mit der Gedenkfeier im Historischen Rathaus erinnerte die Stadt Köln an den Einsturz des Stadtarchivs vor einem Jahr und gedachte der beiden Opfer. / copyright: Henning Kaiser/ ddp
Teilnehmer der Gedenkveranstaltung zum Jahrestag des Einsturzes des Kölner Stadtarchivs stehen vor dem Mahnmal ‘Die trauernden Eltern’. Mit der Gedenkfeier im Historischen Rathaus erinnerte die Stadt Köln an den Einsturz des Stadtarchivs vor einem Jahr und gedachte der beiden Opfer.
copyright: Henning Kaiser/ ddp

Der Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters fordert am Jahrestag des Einsturzes bei der offiziellen Gedenkfeier Konsequenzen und fordert den Rücktritt von Walter Reinarz, dem zuständigem Vorstand der KVB. Der Baukonzern will die Qualitätskontrollen verstärken und es gibt noch keinen Überblick übder die Schäden.

Zwei Kerzen erinnerten im großen Saal des alten Kölner Rathauses an die beiden jungen Männer, die am 3. März 2009 beim Einsturz des Stadtarchivs getötet wurden. Pünktlich um 13.58 Uhr wurden die Kerzen angezündet, dem Moment, an dem sich vor einem Jahr die Katastrophe in der Südstadt ereignete.

Es war eine betont schlichte Feier, zu der die Stadt Köln die Hinterbliebenen der beiden Getöteten, aber auch gerettete Mitarbeiter und Besucher des Historischen Archivs eingeladen hatte. Auch Anwohner, die bei dem Unglück ihre Wohnung verloren hatten sowie Geschäftsleute und Abordnungen der betroffenen Schulen waren ins Rathaus gebeten worden.

Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) fiel es nicht leicht, die richtigen Worte für ein Ereignis zu finden, das für ihn das Gesicht Kölns verändert hat: „Es sind Schäden entstanden, die nicht mit Geld und Sachleistungen auszugleichen sind. Es geht um den Verlust von Sicherheit und Vertrauen.“

Und Roters sparte nicht mit Kritik an den am Kölner U-Bahnbau beteiligten Firmen: „Wer von uns hätte sich vorstellen können, dass international handelnde Baufirmen in solch großem Umfang täuschen, manipulieren und betrügen?“

In den vergangenen Wochen waren massive Mängel und Fälschungen an den Kölner U-Bahnbaustellen und an Messprotokollen bekannt geworden. Probleme an einer U-Bahnbaustelle gelten auch als wahrscheinlichste Unglücksursache für den Archiveinsturz. Dieses Fehlverhalten könne nicht auf einzelne Bauarbeiter reduziert werden, es habe anscheinend System, sagte der Oberbürgermeister.

Roters forderte auch den Rücktritt des für den U-Bahnbau zuständigen technischen Vorstands der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB), Walter Reinarz. Dieser müsse sich fragen, ob er noch das Vertrauen der Bevölkerung hat: „Gehört zu einem Neuanfang nicht auch, den Platz freizumachen?“ Neben der juristischen Schuldzuweisung gebe es noch eine politisch-moralische Verantwortung, erinnerte Roters.

Schüler der Rheinischen Musikhochschule trugen auf der Gedenkfeier Klassikstücke vor, danach wurden Interviews mit Bewohnern des Wohnhauses Severinstraße 232 eingespielt, das bei dem Einsturz so schwer beschädigt wurde, dass es später abgerissen werden musste. Die Ton-Collage machte deutlich, durch welchen Wirrwarr der Gefühle die Menschen gehen mussten, die von einem Moment auf den anderen ihren Lebensmittelpunkt verloren hatten.

Die verlorene Sicherheit stand auch im Mittelpunkt eines Liedes, das einer der Anwohner gemeinsam mit Schülerinnen vortrug. Die Angehörigen der beiden Getöteten waren von der Stadt Köln sorgfältig von der Öffentlichkeit abgeschirmt worden. So mussten sie nicht miterleben, wie sich die geladenen Honoratioren der Stadt vor dem Beginn der Trauerfeier im gefälligen Small Talk ergingen.

Auf dem Platz vor dem Historischen Rathaus, wo sonst frisch getraute Eheleute auf ihre gemeinsame Zukunft anstoßen, erinnerten sich die Anwohner der zerstörten Wohnhäuser an den Tag, der ihr Leben auf den Kopf gestellt hat. „Manchmal ist es so surreal, da denke ich mir, das alles ist gar nichts passiert“, meinte eine Frau. Und während Roters mit den Hinterbliebenen der Opfer für ein Gebet zum nahen Mahnmal „Die trauernden Eltern“ ging, sagte eine andere Frau: „Das alles hätte nicht passieren dürfen. Und wir wissen ja nicht, was jetzt noch alles rauskommt.“

Als Konsequenz aus den bekannt gewordenen Mängeln will der beim Kölner Bau federführende Konzern Bilfinger Berger künftig stärker kontrollieren. Der technische Leiter Jochen Keysberg sagte: “Solange die Ursache der Havarie nicht festgestellt ist, können wir auch nicht über Schuld reden. Es ist eine Tatsache, dass das Fehlverhalten eines Mitarbeiters unsere Reputation schwer geschädigt hat.”

Das Unternehmen werde seine Qualitätssicherungssysteme noch einmal überprüfen. Arbeitsvorgänge sollen fortan detailliert im Vier-Augen-Prinzip überprüft werden, um kriminelles Vorgehen auf der Baustelle weitestgehend eindämmen zu können. Neben dem Kölner Bauprojekt ist es offenbar auch auf anderen Bilfinger-Berger-Baustellen zu Unregelmäßigkeiten gekommen.

Der Kulturdezernent der Stadt Köln, Georg Quander, räumte ein, dass es auch ein Jahr nach dem Archiveinsturz kaum Erkenntnisse über das Schicksal der dort eingelagerten Bestände gibt. Momentan sei völlig unklar, welche Dokumente gerettet worden seien, sagte Quander. Bislang wurden etwa 85 Prozent der Bestände geborgen. Es werde jedoch “drei Jahre in Anspruch nehmen, bis wir wirklich sagen können, was wir gerettet haben und was endgültig verloren ist”.

Die Archivlandschaft insgesamt sei durch das Unglück aufgerüttelt worden. Es sei klar geworden, dass mit historischer Überlieferung sorgfältiger umgegangen werden und mehr in ihre Sicherung investiert werden müsse.

Nach Auffassung von René Böll, dem Sohn des aus Köln stammenden Literatur-Nobelpreisträgers Heinrich Böll, trägt die Stadt die Hauptschuld an dem Einsturz, bei dem große Teile des Nachlasses seines Vaters verschüttet wurden. Sie habe den Bau der U-Bahn in Auftrag gegeben und organisiert, ihn jedoch nicht kontrolliert.

Noch immer habe er keinen Überblick darüber, wie viel aus dem Nachlass seines Vaters verloren gegangen sei, sagte Böll. Ein großer Teil des Nachlasses war erst etwa drei Wochen vor dem Einsturz an das Stadtarchiv übergeben worden. Darunter waren 400 Manuskripte, mehrere tausend Briefe, bis zu 8000 Fotos und Dokumente der gesamten Familiengeschichte. Der Einsturz sei eine “absolute Katastrophe” für die Böll-Forschung, betonte René Böll.

Autor: ddp