Ein Abend voller Ressentiments: Lit.Cologne präsentiert "Uraufführung"

Die Autoren Viola Roggenkamp (v.l.), Antonia Baum, Michael Köhlmeier und Wolf Wondraschek stehen bei der Veranstaltung 'Uraufführung' des Literaturfestivals lit.Cologne in Köln auf der Bühne. / copyright: Hermann J. Knippertz / dapd
Die Autoren Viola Roggenkamp (v.l.), Antonia Baum, Michael Köhlmeier und Wolf Wondraschek stehen bei der Veranstaltung ‘Uraufführung’ des Literaturfestivals lit.Cologne in Köln auf der Bühne.
copyright: Hermann J. Knippertz / dapd

Der kleine Jens ist hässlich und liebt Dinosaurier. Die Frau auf der Bühne, die seine Geschichte vorträgt, ist jung und hübsch. Antonia Baum liest vor, wie der Junge von seinen Klassenkameraden dafür gehasst wird, dass er anders ist. Die Schriftstellerin präsentiert auf der Lit.Cologne ihren jüngsten Text.

Dieser entstand für das Kölner Literaturfestival,
das dieses Jahr zum 13. Mal stattfindet. Mit fünf anderen Autoren hat
sie über das Thema “Ressentiment” – also die gefühlsmäßige, oft
unbewusste Abneigung – geschrieben.

Die Lit.Cologne wird bei dem
Vortrag zum Ort, an dem Literatur nicht nur präsentiert wird, sondern
entsteht: Das war die Idee zu diesem Abend, der mit dem Titel
“Uraufführung” überschrieben ist. Ihr Text, erzählt Antonia Baum, sei
ihr einfach so passiert. “Ich habe den an einem Abend geschrieben und
war sehr glücklich danach.”

Sechs Blickwinkel auf ein Thema

Die
Bühne im WDR-Sendesaal am Wallrafplatz in Köln ist an diesem Abend
nüchtern gehalten, zwei schwarze Pulte stehen dort, ein Glas Wasser auf
jedem, jeweils ein Mikrofon. Die Autoren betreten die Bühne, lesen ihre
Texte und verlassen das Scheinwerferlicht wieder. Das Thema
Ressentiment, dieses Gefühl, das Moderator Roger Willemsen unter anderem
nach Lessing als neidische Verachtung definiert und das heutzutage
unter dem Begriff “Shitstorm” firmiere, hat sechs sehr unterschiedliche
Texte entstehen lassen.

Der österreichische Autor Michael
Köhlmeier
hat eine grausame Geschichte mit dem Titel “Der Schwedenkuss”
geschrieben, die während des Dreißigjährigen Krieges spielt. “Hätte
Roger Willemsen mich nicht darum gebeten, wäre der Text nicht da”, sagt
der 63-Jährige nach der Veranstaltung. Seinen Text findet Doreen Reeck,
die im Publikum sitzt, am eindrücklichsten. “Das Konzept, so Literatur
zu vermitteln, finde ich sehr spannend. Es gibt einen thematischen
Bogen, und es ist dennoch abwechslungsreich”, sagt die 34-Jährige, die
als freie Lektorin arbeitet.

Schriftsteller Wolf Wondratschek
trägt einen Text vor, in dem er Kritik übt an dem Geschäft, zu dem
Literatur gemacht wird, an Kritikern und an Verlegern. Mit einem
Verleger trägt dann auch sein Protagonist, ein Autor, einen Kampf über
sein Werk aus, in dem der Schriftsteller der Unterlegene ist. Und doch:
“Der Ruhm gehört den Besiegten”, schließt Wondratschek und verlässt
unter großem Applaus die Bühne. Schriftstellerin Viola Roggenkamp, die
aus einer deutsch-jüdischen Familie stammt, lässt einen Juden und eine
Jüdin auf einer Party ein Gespräch führen. Die beiden diskutieren über
einen “protestantischen Neger aus Berlin”, einen jüdisch aussehenden
deutschen Vizekanzler und koscheres Essen, das für die Muslime auf der
Party zubereitet worden sei, nicht für die Juden.

Ein verbitterter Autogrammjäger und Jesus am Kreuz

Thomas
Glavinic
hat einen Text über einen verbitterten Autogrammjäger
geschrieben, der in einer Kneipe die “Tagesschau” sieht und alle
Personen, die auf dem Bildschirm auftauchen, mit Hohn und Spott
überzieht. Der Autor Navid Kermani schreibt von der Kreuzigung Jesu, von
den Kriegsknechten, die ihn vor seinem Tod quälen.

Für Antonia
Baum ist es ein gelungener Abend, auch wenn sie selbst lieber alleine zu
Hause liest. Sie sei sehr nervös gewesen als sie dort vorne auf dem
Stuhl saß, verrät sie. Dass sie etwas sagen wolle, sei ihr Antrieb zu
schreiben. Und sie fügt hinzu: “Wenn ich nicht schreibe, fühlt es sich
so an, als wäre ich nicht da.”

Zum Schluss des Abends stehen die
Autoren wie im Theater in einer Reihe auf der Bühne, fassen sich an den
Händen und verbeugen sich vor ihrem Publikum. Von Ressentiments zwischen
Autoren und Publikum ist da jedenfalls nichts zu spüren.

Autor: Redaktion / dapd