Manche Streitpunkte in der Arbeitswelt sind so wichtig bzw. häufig, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt darüber ein so genanntes Grundsatzurteil fällt. Es ist dann für ganz Deutschland rechtskräftig und eine Orientierung für die untergeordneten Instanzen. Sie müssen dieser Rechtsauffassung folgen.
Azubis haften ohne Rücksicht auf ihr Alter für Körperverletzung
Auszubildende, die durch ihr Verhalten bei einem Beschäftigten desselben Betriebes einen Schaden verursachen, haften ohne Rücksicht auf ihr Alter nach den gleichen Regeln wie andere Arbeitnehmer. Im konkreten Fall hatte ein 19-Jähriger in einer Kfz-Werkstatt einen Gegenstand nach einem anderen Azubi geworfen und ihn dabei am Auge verletzt. Die Folge: Kunstlinse und Hornhautnarbe. Der Werfer wurde zur Zahlung von 25.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt.
Bundesarbeitsgericht, Az. 8 AZR 67/14 (Urteil vom 19.03.2015)
Frage nach Gewerkschaftszugehörigkeit nicht erlaubt
Die Aufforderung eines Arbeitgebers an die in seinem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer zu erklären, ob sie einer bestimmten Gewerkschaft angehören, kann die Koalitionsbetätigungsfreiheit der betroffenen Gewerkschaft unzulässig einschränken. Geklagt hatte die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL). In einem Tarifstreit waren ihre Mitglieder von der Arbeitgeberin (gehört zum Kommunalen Arbeitgeberverband Bayern e.V.) in einem Schreiben aufgefordert worden, unter Angabe von Name und Personalnummer mitzuteilen, ob man in der GDL ist oder nicht.
Bundesarbeitsgericht, Az. 1 AZR 257/13, Urteil vom 18. November 2014
Ohne Nachtschichten nicht generell arbeitsunfähig
Wer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr tauglich ist, Nachtschichten zu absolvieren, ist damit nicht generell arbeitsunfähig. So das Urteil für eine klagende Krankenschwester. Obwohl ihr Arbeitsvertrag mit einem Krankenhaus zwar die Pflicht zur Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht- und Schichtarbeit statuiere, sei die Krankenschwester nicht als arbeitsunfähig anzusehen, entschieden die Richter. Ihre Arbeitsleistung sei schließlich nicht unmöglich geworden, da sie tagsüber eingesetzt werden könne und dies auch angeboten hat.
Bundesarbeitsgericht, Az. 10 AZR 637/13, Urteil vom 09. April 2014
Im Vorstellungsgespräch gelogen? Das kann später den Job kosten
Wer im Vorstellungsgespräch auf eine zulässige Frage eine falsche Antwort gibt, kann wegen dieser Lüge später gekündigt werden. Die Gefahr besteht besonders dann, wenn sich die Falschangabe negativ auf die Leistungsfähigkeit im Job auswirkt. Im verhandelten Fall hatte die Bewerberin hinsichtlich ihrer Schwerbehinderung falsche Angaben gemacht.
Bundesarbeitsgericht, Az. 2 AZR 396/10 (Urteil vom 07.07. 2011)
Jobabsage? Zwei Monate Zeit zum Klagen
Ein abgelehnter Job-Bewerber, der vermutet, dass man ihm allein wegen seiner Herkunft, seines Geschlechts oder Alters abgesagt hat, kann innerhalb von zwei Monaten auf Grundlage des Antidiskriminierungsgesetzes gegen diese Absage klagen. Die Frist beginnt ab der Kenntnis über die Ablehnung.
Bundesarbeitsgericht, Az. 8 AZR 188/11 (Urteil vom 21.06. 2012)
Eine Lehre darf nicht als Praktikum getarnt werden
Um Ausbildungskosten zu sparen, stellte ein Handwerker seinen Azubi einfach als Praktikant ein. Unzulässig! Die Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf (hier zum Maler) hat nach § 4 Abs. 2 BBiG (Berufsbildungsgesetz) grundsätzlich in einem Berufsausbildungsverhältnis zu erfolgen. Der Beschäftigte hat dann auch Anspruch auf die tarifliche oder übliche Vergütung.
Bundesarbeitsgericht, Az. 3 AZR 317/08 (Urteil vom 27.07. 2010)
Geringverdiener dürfen Bezahlung von Überstunden erwarten
Geklagt hatte ein Lagerleiter einer Spedition. Er hatte zwischen 2006 und 2008 insgesamt 968 Überstunden geleistet und forderte dafür nun 10.000 Euro. Die Richter gaben ihm Recht: Wer wie der Kläger für 42 Arbeitsstunden pro Woche ein Bruttogehalt von 1.800 Euro/Monat bekommt, von dem dürfte Mehrarbeit nur gegen Geld zu erwarten sein.
BAG, Az. 5 AZR 765/10 (Urteil vom 22.02. 2012)
Mehr Urlaub für ältere Arbeitnehmer keine Diskriminierung
Ab dem 58. Lebensjahr haben Arbeitnehmer eines Schuhherstellers in RheinlandPfalz 36 Tage Urlaub im Jahr. Wer jünger ist, muss sich mit 34 Tagen begnügen. Das BAG hat an dieser Praxis nichts auszusetzen. Schließlich stehe dem Unternehmen eine Einschätzungsprärogative zu. Arbeitgeber können älteren Beschäftigten mehr Urlaub gewähren als jüngeren Mitarbeitern. Die Klage von sieben jüngeren Angestellten des Schuhherstellers wurde abgewiesen.
Bundesarbeitsgericht, Az. 9 AZR 956/12, Urteil vom 21. Oktober 2014
Arbeitnehmer muss Jahresurlaub rechtzeitig splitten
Will ein Arbeitnehmer einen Teil seines Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr übertragen, muss er dies noch im eigentlichen Urlaubsjahr klären. Das bloße „Nichtnehmen“ reicht für den Urlaubsanspruch nicht aus. Denn die Übertragung stellt – gesetzestechnisch gesehen – immer die Ausnahme dar.
Bundesarbeitsgericht, Az. 9 AZR 270/02 (Urteil vom 29.07. 2003)
Krankschreibung schon am ersten Fehl-Tag? Arbeitgeber im Recht
Betriebsintern gibt es unterschiedliche Regelungen, die eine Frist von bis zu drei Tagen für das Einreichen einer Krankschreibung erlauben. Möchte der Arbeitgeber jedoch, dass sie bereits am ersten Fehl-Tag vorliegt, darf er das ärztliche Attest auch unverzüglich verlangen. Er muss das auch nicht begründen – etwa, weil er den Verdacht hegt, dass der Beschäftigte häufiger blaumacht oder sich regelmäßig an Montagen krankschreiben lässt.
BAG, Az. 5 AZR 886/11 (Urteil vom 14.11. 2012)
Auch bei Vorruhestandsleistungen gilt Gleichberechtigung
Auch bei tariflichen Vorruhestandsleistungen muss Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen gelten. Ein Arbeitgeber hatte männlichen Mitarbeitern teilweise länger Übergangsgeld gezahlt als weiblichen. Völlig zu Unrecht!
Bundesarbeitsgericht, Az. 9 AZR 584/09 (Urteil vom 15.02. 2012)
Arbeitgeber steht für Betriebsrente gerade
Wenn eine Pensionskasse – also eine nichtstaatliche Altersversicherungseinrichtung – in finanzielle Schwierigkeiten gerät und deshalb die Betriebsrente kürzt, muss der ehemalige Arbeitgeber diesen Fehlbetrag ausgleichen. Von dieser Einstandspflicht kann sich der Arbeitgeber durch vertragliche Abrede auch nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer befreien.
BAG, Az. 3 AZR 408/10 (Urteil vom19.06. 2012)
Erwerbsunfähigkeitsrente lässt sich nicht rückgängig machen
Aufgrund einer Schwerbehinderung zu 50 Grad nach zwei Herzinfarkten wurde der Antrag eines Busfahrers auf Erwerbsunfähigkeitsrente bewilligt. Erst danach überlegte er es sich anders und wollte nun doch für „leichte körperliche Arbeiten“ eingesetzt werden. Urteil der Richter: Zu spät. Dieses Ansinnen hätte der Busfahrer vor dem Erhalt des Rentenbescheides kundtun müssen.
Bundesarbeitsgericht, Az. 7 AZR 118/01 (Urteil vom 31.07. 2002)
Videoüberwachung nur in Ausnahmefällen erlaubt
Verdeckte Überwachung von Mitarbeitern per Videokameras ist nur bei konkretem Straftatverdacht wie beispielsweise Diebstahl erlaubt. Und auch dann nur, wenn es keine andere Möglichkeit zur Aufklärung gibt. Sonst werden die Aufnahmen vor Gericht nicht als Beweismittel zugelassen.
BAG, Az. 2 AZR 153/11 (U.v. 21.06. 2012)
Längere Kündigungsfristen für ältere Arbeitnehmer erlaubt
Je länger jemand mit einer Firma “verheiratet” ist, desto größer ist die Trennungszeit, die ihm bei einer Entlassung eingeräumt wird. Die Kündigungsfristen von Arbeitnehmern dürfen sich auch künftig mit zunehmender Beschäftigungszeit erhöhen, entschied das BAG. Die obersten Richter sahen keine mittelbare Diskriminierung von jüngeren Besch
äftigten. Die Staffelung von Kündigungsfristen verstößt nicht gegen die europäische Gleichbehandlungsrichtlinie.
BAG, Az. 6 AZR 636/13, Urteil vom 18. September 2014
Autor: Redaktion/ Bundesagentur für Arbeit