Die ersten Stücke sind restauriert, 30 Prozent der geborgenen Bestände erfasst und knapp die Hälfte davon bereits wieder zugeordnet.
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Zweieinhalb Jahre Bergungsarbeit, Bau komplexer Bauwerke, Engagement und Einsatz unzähliger Helfer waren notwendig, bis die Stadt Köln 2011 mit der Bergung des Archivgutes des eingestürzten Historischen Archivs diesen ersten Abschnitt der Schadensbewältigung nach dem Einsturz für abgeschlossen erklären konnte.

Die ersten Stücke sind restauriert, 30 Prozent der geborgenen Bestände erfasst und knapp die Hälfte davon bereits wieder zugeordnet. Das neue Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum ist in Betrieb, die ersten Originale stehen der Öffentlichkeit wieder zur Verfügung.

Von insgesamt drei vom Einsturz betroffenen benachbarten Schulen kann als letzte Schule das Friedrich-WilhelmGymnasium ihr dann grundsaniertes Gebäude in diesem Sommer wieder beziehen. Die damals betroffenen Anwohner benötigen seit über einem Jahr keine städtische Hilfestellung mehr beim privaten Neustart in neuer Umgebung, die anfangs intensive psychologische und auch finanzielle Hilfe konnte eingestellt werden. Mit Hochdruck wird an den Vorbereitungen zum Besichtigungsbauwerk am Waidmarkt gearbeitet, um die Ursachenforschung der Staatsanwaltschaft zu ermöglichen. Für den Neubau des Historischen Archivs am Eifelwall steht der Abschluss des Architektenvertrages unmittelbar bevor.

Am 3. März 2009 war, vermutlich im Zusammenhang mit Arbeiten an der Nord-Süd-Bahn, einer neuen U-Bahn-Strecke, das Gebäude des Historischen Archivs an der Severinstraße mit über 30 Regalkilometern Archivalien eingestürzt. Mit ihm brachen weitere benachbarte Wohngebäude zusammen. Zwei Menschen verloren ihr Leben, 36 Anwohner benachbarter Häuser verloren ihre Wohnungen.

Am Vorabend des dritten Jahrestages des Einsturzes wird die Stadt Köln am Freitag, 2. März 2012, um 16 Uhr, an der Einsturzstelle Waidmarkt mit einer Schweigeminute der Opfer des Einsturzes gedenken. Am Samstag, 3. März 2012, beginnt um 11 Uhr der der “Tag der offenen Tür” im Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum in Köln Porz-Lind. An diesem Gedenktag gibt das Historische Archiv für alle Interessierten einen Einblick in die Arbeiten des Wiederaufbaus. Zeitgleich findet der bundesweite “Tag der Archive” statt. Hier in Köln präsentieren 20 Kölner Archive, organisierte vom Arbeitskreis Kölner Archivarinnen und Archivare (AKA) sich selbst und ausgewählte Objekte aus ihren Beständen und nutzen dazu auch Flächen des angrenzenden Porta-Möbelhauses.

Anwohner und Betroffene

36 Anwohner aus den Nachbarhäusern verloren bei dem Einsturz ihre Wohnungen und wurden anfangs von persönlichen Assistenten, Wohnungsvermittlern und Psychologen betreut, solange sie die Hilfe in Anspruch nehmen wollten. Derzeit nimmt kein ehemaliger Anwohner mehr diesen Service in Anspruch. Die materiellen Schäden wurden wurden von den Kölner Verkehrs-Betrieben (KVB) ausgeglichen.

Es besteht ein regelmäßiger Informationsaustausch zwischen Stadt Köln, KVB und den heutigen Anwohnern sowie der Geschäftswelt an der Severinstraße zum aktuellen Stand der Bauarbeiten in der Einsturzstelle (Bergungsbauwerk, demnächst Besichtigungsbauwerk) und zum Stand der Archivalienbergung. Von der Öffnung für den Fußgänger- und Radverkehr profitierte auch das Geschäftsquartier Severinstraße.

Schulen

Speziell für die Schüler der damals betroffenen Schulen hat das Amt für Schulentwicklung ein permanentes Informationsprogramm aufgelegt. In Zusammenarbeit mit KVB, Berufsfeuerwehr, Gutachtern und Amt für Brücken- und U-Bahnbau wurden von Anfang an alle Schulen permanent mit Messpunkten überwacht und die Ergebnisse über das Internet zugänglich gemacht. Während der gesamten Messdauer sind keine Setzungen, die auf Bewegungen des Untergrundes schließen lassen, festgestellt worden.

  • Friedrich-WilhelmGymnasium

Das Gebäude des Friedrich-WilhelmGymnasiums wird derzeit mit einem finanziellen Aufwand von 24 Millionen Euro durchgehend saniert. Während der Sommerferien soll der Umzug der Schule in ihr Gebäude durchgeführt werden. Die barrierefreie Herrichtung des Gebäudes gestaltete sich als besonders schwierig, da dazu unter anderem das Zentraltreppenhaus abgebrochen und wieder aufgebaut werden musste.

  • Kaiserin-AugustaSchule

Für die als GanztagsSchule geführte Kaiserin-AugustaSchule wurden die Planungen für einen Erweiterungsbau, der den Raumbedarf der Schule langfristig decken soll, aufgenommen. Dazu fand im Sommer 2011 ein moderierter Workshop statt. Das Ergebnis des Workshops wurde im Dezember 2011 vom Stadtentwicklungsausschuss beschlossen, voraussichtlich im März soll der Rat den Auslobungstext verabschieden. Mit dem Ergebnis des Wettbewerbs wird im Herbst 2012 gerechnet.

Archivalien

Mit dem Einsturz vermengten sich über 30 Regalkilometer Archivgut mit den eingestürzten Wänden und Decken des Gebäudes.

Ende August 2011 konnte die Stadt Köln mit der Bergung des letzten Regalkilometers aus dem Grundwasser offiziell die Bergung mit einer Quote von 95 Prozent geborgener Archivalien für beendet erklären. Die restlichen 5 Prozent gelten als verloren.

Von den geborgenen und erstversorgten Archivalien sind circa 35 Prozent schwerst beschädigt, 50 Prozent weisen schwere und mittlere Schäden und 15 Prozent nur leichte Schäden auf. Das Archiv arbeitet derzeit mit 20 Archiven zusammen, die das geborene Archivgut fachgerecht aufgenommen haben. Die Stadt Köln hat im vergangenen Jahr ein eigenes neues Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum in Köln Porz-Lind errichtet, in dem kontinuierlich das Archivgut erfasst, katalogisiert, digitalisiert und restauriert wird. Dazu hat die Stadt Köln ihren Personalbestand deutlich erhöht. Der Personalbestand wurde im vergangenen Jahr von 64 Mitarbeitern (2010) auf 140 Mitarbeiter erhöht und sucht noch weitere Fachkräfte. Nach wie vor behindert ein eklatanter Fachkräftemangel vor allem den Bereich Papierrestaurierung. Kooperationen mit der Fachhoch
Schule Köln, der FachhochSchule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim und mit der FachhochSchule Potsdam können den Personalmangel nur zu Teilen auffangen. Darüber hinaus geht das Archiv neue Ausbildungswege bei der Qualifizierung von Restaurierungsmitarbeitern. Im Januar 2012 konnten mit der Eröffnung des analogen Lesesaals im Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum erstmals wieder Originale des Archivs der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Bislang sind rund neun Regalkilometer des geborgenen Archivguts erfasst, das sind gut 30 Prozent der geborgenen Gesamtbestände. Knapp die Hälfte davon ist bereits wieder in seinen Zusammenhang gebracht. Derzeit läuft die Bergungserfassung in den AsylArchiven in Sankt Augustin, Münster-Coerde, im UniversitätsArchiv Münster, in Gelsenkirchen und im Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn.

Die Kosten der Restaurierung des gesamten Bestandes werden auf circa 400 Millionen Euro geschätzt.

Auch die normalen Aufgaben eines Archivs können wieder verstärkt erledigt werden. Die Anzahl der Anfragen nahm von 1070 Anfragen im ersten Halbjahr 2011 auf 1.436 Anfragen im zweiten Halbjahr zu, was eine Steigerung von gut 34 Prozent bedeutet.

Neubau des Historischen Archivs

Am Eifelwall entsteht der Neubau des Historischen Archivs. Dazu hat die Stadt Köln im Juni vergangenen Jahres einen Realisierungswettbewerb abgeschlossen. Die Vertragsverhandlungen mit dem siegreichen Architektenbüro “waechter + waechter” stehen kurz vor dem Abschluss.

Stiftung Stadtgedächtnis

Mit Doktor Stefan Lafaire ist ein hochqualifizierter, erfahrener Finanzexperte für den Vorsitz der Stiftung Stadtgedächtnis gewonnen worden. Die “Stiftung Stadtgedächtnis” hat es sich zur Aufgabe gemacht, langfristig den Wiederaufbau des Historischen Archivs und die Restaurierung der Archivalien zu begleiten. Sie akquiriert Spenden von Unternehmen, Vereinen, Verbänden und Privatpersonen und unterstütz damit die Rettung der Archivalien. Unter anderem konnte über diese Stiftung die Gefriertrocknung für das Restaurierungszentrum beschafft werden. Sie versteht sich als Ansprechpartner und gemeinnütziger Vermittler von Unterstützern, die ihre Beiträge für den langfristigen Erhalt und die wissenschaftliche Bearbeitung der Archivalien leisten möchten.

Bergungsbauwerk und Besichtigungsbauwerk

Das Bergungsbauwerk an der Einsturzstelle gehört zu den kompliziertesten Bauwerken, die in Köln in den vergangenen zwei Jahren errichtet wurden, da einerseits behindernde Großtrümmerteile gehoben werden mussten, andererseits keinerlei Auswirkungen der Arbeiten auf Schlitzwand, umgebendes Gelände oder auch noch Archivalien auftreten durften. Ein Regalkilometer Archivgut konnte bei diesen Arbeiten noch aus dem Grundwasser geborgen werden. Insgesamt wurden 39 Großtrümmerteile geborgen mit einem Gesamtgewicht von circa 300 Tonnen und Einzelgewichten bis zu 30 Tonnen. Erschwert wurden die Arbeiten durch außerordentlich schlechte Sichtverhältnisse unter Wasser. Am 6.Oktober 2011 wurde die Bergungsbaugrube von der Stadt Köln an den Gutachter Professor Kempfert übergeben, der mit Tauchern und Spezialkameras erste Aufnahmen von der Schlitzwand des unterirdischen Gleiswechselbauwerks anfertigen konnte. Derzeit wird mit letzten Arbeiten Schlamm auf der Aushubsohle entfernt, um noch vorhandene Trübstoffe im Wasser der Bergungsbaugrube zu verringern, damit die staatsanwaltlichen Untersuchungen in der Grube fortgesetzt werden können. Im Sommer kann die Wiederverfüllung der Bergungsbaugrube erfolgten, gefolgt vom Rückbau der Aussteifungskonstruktion de Schlitzwand. Im Anschluss daran wird das Baufeld im Sommer 2012 an die Kölner Verkehrs-Betriebe übergeben, die im Anschluss daran das Besichtigungsbauwerk zur Ursachenfeststellung errichten lassen.

Zukunft des Grundstücks Severinstraße

Die nach dem Einsturz des Historischen Archivs entstandene bauliche Lücke entlang der Severinstraße soll geschlossen werden. Zur künftigen Nutzung wurde von April bis Dezember 2011 eine intensive Bürgerbeteiligung durchgeführt. Dazu gehörten Informationsveranstaltungen, Quartiersrundgänge und ein Workshop für interessierte Bürgerinnen und Bürger. Die Bearbeitung der Themen erfolgte unter Beteiligung von 70 Akteuren aus unterschiedlichen Bereichen (Schulen, Initiativen, Kirchen, Anwohner, Gewerbetreibende, Grundstückseigentümer, Politik, Verwaltung).

Die Vorbereitungen zur Auslobung eines EU-weiten Wettbewerbs laufen derzeit. Neben der Bearbeitung des Hochbaus der Kaiserin-AugustaSchule sollen Vorschläge für eine Nutzungsmischung aus öffentlich/kultureller Nutzung im Erdgeschoss entwickelt werden. Die oberen Geschosse sollen für Wohnnutzung vorgesehen werden. Das Ziel ist, eine Lebendigkeit im Veedel zu fördern. Auf dem Gelände soll auch ein Ort des Gedenkens an den Archiveinsturz realisiert werden.

Rechtsverfahren und Schadenssumme

Die Stadt Köln geht von einer Gesamtschadenssumme von mindestens 1 Milliarde Euro aus.

Zur Wahrung ihrer Rechte ist die Stadt Köln dem von der KVB gegen die Arbeitsgemeinschaft Nord-Süd Stadtbahn Köln Los Süd eingeleiteten selbständigen Beweisverfahren als (Mit-) Antragstellerin beigetreten.

Das Landgericht Köln hat auf Antrag der Stadt in dem selbständigen Beweisverfahren zur Einsturzursache im November 2011 angeordnet, dass durch Einholung von schriftlichen Sachverständigengutachten Beweis zur Frage der Höhe des Schadens erhoben werden soll, der der Stadt infolge des Einsturzes des Historischen Archivs entstanden ist oder noch entstehen wird. Dieses Verfahren zur Schadenshöhe wurde aus dem Beweisverfahren zur Einsturzursache abgetrennt und läuft parallel.

Drei Klagen von Nachlassgebern gegen die Stadt Köln wurden vom Landgericht Köln in erster Instanz abgewiesen. Das Oberlandesgericht Köln setzte die daraufhin eingelegten Berufungsverfahren im Hinblick auf die Beweissicherungsverfahren und die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln vorläufig aus.

Autor: Redaktion/ Stadt Köln/ Ähzebär un Ko e.V.