Interview mit Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters: "Die Bürger ernst nehmen!"

Jürgen Roters: Ich möchte, dass man die Bürger ernst nimmt und sie vor allem frühzeitig beteiligt. / copyright: Daniel Berbig / CityNEWS
Jürgen Roters: Ich möchte, dass man die Bürger ernst nimmt und sie vor allem frühzeitig beteiligt.
copyright: Daniel Berbig / CityNEWS

Im CityNEWS Exklusiv-Interview mit Karin Bäck und Eugen Weis (Herausgeber) spricht Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) über seine Pläne und die großen Veränderungen in Köln und der Gesellschaft der Stadt.

Seit dem 21. Oktober 2009 ist Jürgen Roters (62) der mächtigste Mann Kölns. Das schätzt zumindest die Mehrheit der EXPRESS-Leser in einer Umfrage. Er ist Chef von rund 17.000 Mitarbeitern und verantwortet einen Haushalt in Höhe von etwa 3 Mrd. Euro.

CityNEWS: Die Bürger wollen immer weniger Veränderungen, die von der Bundes- oder auch Stadtspitze gewünscht werden, einfach hinnehmen. “Stuttgart 21” ist ein Beispiel, die Abstimmung um den Sürther Hafen ein näher Liegendes. Die Schweizer hingegen akzeptierten ohne Protest die riesigen Baumaßnahmen am Gotthard-Basistunnel. Sind die Schweizer kritiklose Stimmbürger oder ist ihre Tradition der Volksabstimmung besser?

Jürgen Roters: Die Schweizer haben in der Tat eine Kultur der unmittelbaren Beteiligung. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass die Schweiz ihre Rechte über viele Jahrhunderte erkämpfen musste und bei aller Unterschiedlichkeit der Volkszugehörigkeit zu einem Staat zusammengefunden hat, den man auch unter Einbeziehung der Bürger verteidigt. Für Schweizer ist es heute selbstverständlich, dass sie zu unterschiedlichsten Fragen zur Wahlurne gerufen werden. Dabei geht es auch um so brisante Themen wie Minarettverbot oder Ausländerquote. In Deutschland sind wir das nicht gewöhnt.

CityNEWS: Hat die Politik etwas versäumt?

Jürgen Roters: Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten unsere repräsentative Demokratie extrem ausgeweitet und dabei vergessen, das eine oder andere an unmittelbarer Demokratie zuzulassen. Das wird jetzt nachgeholt. In den Länderverfassungen werden zunehmend Plebiszite vorgesehen. Ich glaube, wir sind auf einem richtigen Weg.

CityNEWS: Und woher kommt der Sinneswandel?

Jürgen Roters: Die Menschen sind kritischer geworden. Sie sagen: Die da oben machen Fehler und deswegen wollen wir mitwirken. Mein Plädoyer ist, die Bürger bei Großprojekten sehr früh zu beteiligen und sie letztlich auch fragen: Wollt ihr das oder nicht? Und das mit allen Konsequenzen. Beim St. Gotthard-Tunnel war es einfacher, einen Konsens zu finden, weil der Tunnel das Schweizer Straßennetz entlastet.

CityNEWS: Ist der Godorfer Hafen ein Großprojekt?

Jürgen Roters: Ja, wenn auch nicht vergleichbar mit “Stuttgart 21”. Aber für die Entwicklung unserer Infrastruktur hat das Projekt eine große Bedeutung. Typischer Fehler war, dass man zehn Jahre gestritten hat, im Rat einmal dafür und dann wieder dagegen gestimmt wurde. Planfeststellungen wurden wieder aufgehoben, weil man nicht ordnungsgemäß gearbeitet hatte. Es war ein quälendes Verfahren, sodass man sich nicht wundern muss, dass die Menschen nicht mehr wollen. Hätte man von Anfang an die Kölner Bürger gefragt, ob der Ausbau gut oder nicht gut ist, wäre uns das Hickhack erspart geblieben.

CityNEWS: Womit erklären Sie sich die geringe Wahlbeteiligung? Im Prinzip haben nur sieben Prozent der Kölner Wahlberechtigten gegen die Erweiterung des Godorfer Hafens gestimmt. Ist das Thema doch nicht so wichtig?

Jürgen Roters: Das hat zwei Gründe. Godorf ist erstens weit weg von Worringen oder Longerich. Deswegen hat das Projekt auch nicht die Bedeutung für sie. Zweitens: Die Bürger haben sich zwar informiert, aber dabei festgestellt, dass das Thema sehr komplex ist und nicht einfach mit Ja oder Nein zu beantworten ist. Ich habe von vielen gehört, dass sie deswegen die Entscheidung lieber an die Politik zurückgeben. Beides zusammen hat dazu geführt, dass die Wahlbeteiligung gering war.

CityNEWS: Letztendlich liefert ein Plebiszit auch immer eine Entschuldigung für den Regierenden. Der kann sagen, ihr habt das so gewollt. Ob der Staat damit weiterkommt, bezweifle ich persönlich. In der Art wie Bürgerbeteiligungen in Deutschland laufen, gibt es doch große Unterschiede zur Schweiz.

Jürgen Roters: Das stimmt. Volksabstimmungen sind in der Schweiz anders verankert als bei uns. Unsere Bürger möchten verständlicherweise an Entscheidungen beteiligt werden. Aber das darf natürlich nicht dazu führen, dass sich die Politik aus der Verantwortung schleicht. Die richtige Mischung hinzubekommen, das ist die Kunst in Zukunft.

CityNEWS: Welche Probleme gibt es bei einer stärkeren Bürgerbeteiligung?

Jürgen Roters: Dazu ein konkretes Beispiel: Wir beobachten seit einigen Jahren, dass vermehrt Familien und Singlehaushalte wieder in die Stadt zurückziehen. Der Bevölkerungszuwachs hat zur Folge, dass in Köln mehr und dichter gebaut wird. Das führt zu Konflikten, weil der Verkehr zunimmt bzw. Kindergarten- und Parkplätze knapp werden mit der Folge, dass, sobald wir einen Bebauungsplan vorlegen, massive Proteste kommen nach dem Motto: Wir wollen zwar mehr Wohnungen, aber nicht vor unserer Tür. Diese Haltung gilt nicht nur für neue Baugebiete sondern auch für Brücken wie bspw. die Moselbrücke in Rheinlandpfalz. Godorf ist ein ähnliches Projekt.

CityNEWS: Massive Proteste gibt es auch gegen Produkte auf Basis der Gentechnologie.

Jürgen Roters: Ja. Es gibt Ängste in der Bevölkerung, dass sich eine Technologie breit machen könnte mit Risiken, die nicht beherrschbar sind. Daher wird ein Abwehrschirm gegen alle gentechnologischen Fortschritte entwickelt. Das ist natürlich kein verantwortungsvoller Umgang mit der Zukunft. Wir sollten uns eher sehr rational mit den Fragen beschäftigen, was uns die Gentechnologie bringt, welche Risiken sie birgt, wie sie beherrschbar werden und wie man insgesamt neue Technologien in unserer Gesellschaft etablieren kann.

CityNEWS: Amerikaner und Asiaten sind führend beim Anbau genmanipulierter Agrarprodukte wie Mais, Soja oder Raps. Ist Europa mit seiner gentechnischen Zurückhaltung der Verlierer bei Innovation und Wachstum?

Jürgen Roters: Wenn wir die Gentechnologie generell ablehnen, dann setzen wir in der Tat unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel. Es gibt beispielsweise Produkte, bei denen wissenschaftlich erwiesen ist, dass sie gefahrlos angewendet werden können. Und dann sollte man es auch tun. Wenn andere Anwendungen, etwa im tierischen Bereich, von ihren Folgen und Konsequenzen noch nicht abschätzbar sind, dann muss man mit einer gewissen Vorsicht daran gehen. Aber sich ganz solchen Entwicklungen zu verweigern, halte ich für falsch.

CityNEWS: Wie könnte aus Ihrer Sicht eine sinnvolle Bürgerbeteiligung aussehen?

Jürgen Roters: Ich möchte, dass man die Bürger ernst nimmt und sie vor allem frühzeitig beteiligt. Das ist ganz, ganz wichtig. Wir machen das auch schon in einigen Verfahren. Ganz konkret beim Waidmarktgrundstück. Hier wurde von uns eine vorgelagerte, gesetzlich nicht vorgeschriebene Bürgerbeteiligung mit einer großen öffentlichen Veranstaltung im Rathaus und mit Workshops organisiert. Es wurden Spaziergänge mit Anwohnern und Interessierten initiiert, bei denen gemeinschaftlich überlegt wurde, in welche Richtung sich das Gelände entwickeln soll. Das brachte uns bereits im Vorfeld viele Erkenntnisse und führte dazu, dass sich die Menschen ernst genommen fühlen. Ich glaube, wenn man die Menschen sehr frühzeitig mitnimmt, dann haben wir im nachhinein weniger Prozesse, weniger Proteste auf der Straße und weniger Baustopps. Deswegen ist eine Beteiligung durchaus sinnvoll.

CityNEWS: Ist der beschriebene Aufwand bei allen Projekten durchzuhalten?

Jürgen Roters: Nein. Wenn wir den immensen Aufwand bei jedem Bebauungsplan, ob nun
für Ehrenfeld oder Ostheim, betreiben wollten, würden wir bald an unsere Grenzen stoßen. Aber bei bestimmten konfliktträchtigen Planungen halte ich den Aufwand für angemessen.

CityNEWS: Nach dem Rücktritt von Herrn Schramma kam die Frage auf, ob ein Mathematiklehrer eine Stadt lenken kann. Sie sind von Haus aus Jurist mit Schwerpunkt Verwaltungsrecht und bringen jede Menge Verwaltungserfahrung mit. Sollten diese Erfahrungen nicht zur Voraussetzung gemacht werden, um so ein Amt einzunehmen?

Jürgen Roters: Nein, es gibt viele Politiker mit Lehr- oder anderen Berufen, die hauptamtlich Repräsentant sind und oder eine Leitung eines Großunternehmens wie das der Stadtverwaltung einnehmen. Das ist vom Gesetzgeber zugelassen. Manchmal hat das auch Vorteile, wenn jemand mit einer unbefangenen Außensicht an die Führung einer Verwaltung herangeht. Ich bin allerdings der Meinung, dass die Prozesse heute so kompliziert sind, sodass ein bestimmtes Maß an Verwaltungserfahrung erforderlich ist.

CityNEWS: Früher gab es eine Zweiteilung der Aufgaben an der Spitze der Stadt. Der OB war Repräsentant und der Oberstadtdirektor war für die Verwaltungsaufgaben zuständig. Heute ist alles in einer Person. Das hat sicherlich auch viel verändert?

Jürgen Roters: Ja. Im Jahr sind tausend repräsentative Termine wahrzunehmen, was auch wichtig ist. Und daneben hat man die große Aufgabe, Verwaltungsvorgänge mit den Mitarbeitern richtig zu strukturieren. Es sind Strategien zu entwickeln, wie die Aufgaben bestmöglich unter Berücksichtigung der knappen Finanzmittel bewältigt werden können.

Autor: Karin Bäck / Eugen Weis / CityNEWS