Brot ist nicht böse: Prof. Holtmeier klärt auf

Prof. Dr. med. Wolfgang Holtmeier, Magen-Darm-Zentrum im Krankenhaus Porz am Rhein / copyright: Krankenhaus Porz am Rhein
Prof. Dr. med. Wolfgang Holtmeier, Magen-Darm-Zentrum im Krankenhaus Porz am Rhein
copyright: Krankenhaus Porz am Rhein

Ernährungsratgeber schießen sich derzeit auf ein neues “Feindbild” ein: Nach Kohlehydraten, Zucker & Co ist es nun der Weizen, der an nahezu allem Schuld sein soll. “Weizenwampe, warum Weizen dick und krank macht”, heißt es dazu auf dem Büchermarkt.

An anderer Stelle kommt man auf so vermeintlich einfache Formeln wie “Weizen weg, Bauch weg”. “Derartige Bücher lesen sich durchaus gut, aber die Inhalte haben meist nur wenig mit dem zu tun, was wissenschaftlich erwiesen ist”, sagte Prof. Dr. Wolfgang Holtmeier, Chefarzt der Gastroenterologie des Krankenhauses Porz am Rhein, im Juli in seinem Vortrag im “Studio Dumont” in Köln. Er war einer Einladung des Anti-Diät-Clubs gefolgt. “Ich kann Sie schon vorab beruhigen: Brot ist nicht böse”, so der Experte.

Zwar seien Durchfall, Bauchschmerzen, Blähungen, Übelkeit und Müdigkeit durchaus weit in der Bevölkerung verbreitet, weshalb Bücher über Ernährungsmedizin auch einen derart reißenden Absatz finden würden. In diesem Zusammenhang beobachtet Prof. Holtmeier aber schon seit langem ein Phänomen: Während 20 bis 30 Prozent der Menschen in Deutschland glauben, eine Nahrungsmittelallergie zu haben, sind es tatsächlich gerade einmal zwei Prozent. “In den allermeisten Fällen liegt jedoch eine Nahrungsmittelunverträglichkeit vor”, sagte Prof. Holtmeier.

Wenn Weizen eine Unverträglichkeit auslöst, ist in der Regel das im Korn befindliche Gluten die Ursache; der Fachbegriff für dieses “Krankheitsbild” ist die Zöliakie, auch Sprue genannt. Neben Weizen können auch Roggen, Gerste und Dinkel ein Auslöser sein. Hafer, Reis, Mais und Hirse werden hingegen gut vertragen. “Einige Zeit war zwar auch der Hafer im Verruf, doch es hatte sich gezeigt, dass einige Mühlen abwechselnd Hafer und Weizen mahlten. Das heißt, dass der Hafer an sich unbedenklich war, aber Reste von Weizen enthielt”, erklärte Prof. Holtmeier.

Eine Zöliakie lässt sich neben der Analyse der Antikörper im Blut vor allem durch eine Biopsie der Darmschleimhaut feststellen. Bei Betroffenen ist die Schleimhaut matt und zeigt vereinzelt Einkerbungen.

Außerdem sind die für die Darmwand typischen Zotten, die für die Nährstoffaufnahme wichtig sind, regelrecht “abrasiert”. “Die Nahrung rutscht nahezu unverdaut daran vorbei”, so Prof. Holtmeier. “Wenn Sie dann aber auf eine glutenfreie Diät gesetzt werden, normalisiert sich diese Darmschleimhaut wieder.” Deshalb würden sich Menschen mit Zöliakie selbst auch nicht als Erkrankte, sondern als Betroffene bezeichnen.

Äußere Symptome für eine Zöliakie sind leider eher unspezifisch. Prof. Holtmeier nennt die Erkrankung denn auch das “Chamäleon der Medizin”; es kann unterschiedlichste Ursachen haben und Beschwerden auslösen. Nicht immer ist Durchfall festzustellen. Selbst eine Verstopfung kann auf eine Zöliakie zurückzuführen sein. “Es gibt auch viele Patienten, die glauben, einen Reizdarm zu haben, tatsächlich aber unter Zöliakie leiden”, weiß der Mediziner. Auch andere Autoimmunerkrankungen, wie z.B. eine Unterfunktion der Schilddrüse, können begleitend auftreten. Deshalb sei die Dunkelziffer der Zöliakie-Betroffenen auch recht hoch. “Es wird geschätzt, dass auf einen diagnostizierten Zöliakie-Betroffenen ungefähr 7 bis 10 Menschen kommen, die auch betroffen sind, es aber nicht auf die Zöliakie zurückführen.”

In den letzten Jahren ist jedoch eine weitere Erkrankung in den Vordergrund gerückt, bei der nachweislich keine Zöliakie vorliegt, jedoch ebenfalls kein Gluten bzw. Weizen vertragen wird. Die Symptome können mit denen bei der Zöliakie identisch sein, es lassen sich jedoch keinerlei Veränderungen im Blut oder im Darm der Patienten nachweisen. Man hat dieses Phänomen zunächst als Glutensensitivität bezeichnet, da aber vermutlich andere Weizeninhaltsstoffe die Beschwerden auslösen, sollte man besser von einer Weizensensitivität sprechen.

Von der These, dass der Mensch Weizen nicht vertrage, weil er früher in der Steinzeit Jäger war und der Ackerbau erst sehr viel später in der Menschheitsgeschichte aufkam, hält Prof. Holtmeier nicht viel. “Sie müssen sich bei allen Ratgebern zu dem Thema immer vor Augen halten, dass 95 Prozent der Bevölkerung Weizen gut verträgt.” Auch die Angst, dass durch neue Hochleistungs-Weizenarten mit speziellen Resistenzen gegen Schädlinge und Pflanzenschutzmittel die Unverträglichkeit zunimmt, hält der Mediziner für die große Mehrzahl der Bevölkerung für unbegründet. “Weizen ist nach wie vor ein Grundnahrungsmittel – und es ist ein Luxusproblem unserer Gesellschaft, dass sie meint, darauf verzichten zu können.”

Der Betroffene kann übrigens sehr leicht überprüfen, ob er tatsächlich an einer Zöliakie leidet oder doch nur an der etwas schwächeren “Weizensensivität”: “Wenn Sie Zöliakie haben und Diät machen und dann ein Brötchen Essen, dann spüren sie in aller Regel nicht sofort eine Veränderung. Die Veränderungen bzw. Beschwerden treten meist erst nach mehreren Tagen bis Wochen ein. Anders ist es bei der Weizensensivität. Da reagiert der Körper bereits häufig nach ein paar Stunden.”

Zum Abschluss warnte Prof. Holtmeier davor, die “Frei von”-Produkte im Supermarkt (Glutenfrei, Fruktosefrei, Laktosefrei) als Lifestyle-Ernährung zu sehen. “Viele Patienten denken, dass diese “Frei von”-Produkte gesund sind. Das ist völlig quatsch, es kann im schlimmsten Fall sogar sein, dass es dabei zu einer Mangelernährung kommt, weil sich einige Verbraucher dann gar nichts mehr trauen zu essen.”

Autor: Redaktion / Krankenhaus Porz am Rhein